Belsazars Ende
versackt.«
»Ich finde, du solltest dich mit in diese Pornogeschichte reinhängen. Die Sache scheint bisher am vielversprechendsten.«
»Solche Töne von dir?« Van Appeldorn stand auf und nahm seine Jacke von der Stuhllehne.
»Wo bleibt denn dabei dein Menetekel?«
Toppe lachte trocken auf. »Ist nach Holland gefahren. In den Centerpark. Na, mal sehen. Machen wir Schluß für heute!«
Es war genauso, wie Toppe es sich gedacht hatte: die Platte war schräg genug. Der Goldstift rollte langsam und landete zielstrebig in der Schublade.
Nach dem zwanzigsten Versuch gab er sich zufrieden.
Er hatte die Lade weit, nur zehn, nur drei Zentimeter geöffnet, war aufrecht, vornübergebeugt, in fallender Bewegung gewesen; der Stift war immer seinen gradlinigen Weg gerollt: in die Schublade.
S. Ro …
Es war kalt in dem leeren Haus. Die Räume waren zu hoch und zu schlecht ausgeleuchtet, um wirklich gemütlich zu sein.
Er ging noch einmal in den Nebenraum, betrachtete das Bett mit der Felldecke, schaltete die schummrige Beleuchtung ein, sah sich die Fotos an den Wänden an. Ihn geilte die Atmosphäre überhaupt nicht auf.
Achselzuckend löschte er das Licht, schloß Türen, riß das erbrochene Siegel von der Haustür. Das Gebäude war freigegeben; Frau van Velden konnte es verkaufen, wenn ihr der Sinn danach stand.
Dann stieg er in den Dienstpassat, den man ihm großzügig für die nächsten Tage überlassen hatte, und fuhr nach Hause.
Sie war nicht da.
Erst halb neun und alles finster. Aber bei seinen Schwiegereltern nebenan war Festbeleuchtung, sogar die schmiedeeiserne Außenlampe brannte.
Er war kaum aus dem Wagen gestiegen, als seine Schwiegermutter schon herausgeschossen kam, dann aber innehielt, die Arme vor dem Bauch verschränkte und die Sterne betrachtete.
»’n Abend, Helmut.«
»’n Abend, Mutter.«
Sie hüstelte. »Gabi ist mit den Kindern schon mal vorgefahren. Du könntest noch nicht weg..«
»Ja, sieht so aus.«
Er schloß das Auto ab und ging zur Haustür. »Ich hab’ eben einen Scheißberuf.«
»Tja«, meinte seine Schwiegermutter. »Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend.«
Toppe zögerte, dann hob er den Kopf und grinste.
»Danke, Mutter. Den mach’ ich mir«, sagte er laut. »So eine Chance kriegt man ja selten.«
Sie bedachte ihn mit ihrem katholischen Frettchenblick und verschwand im Haus.
Ihm war erbärmlich zumute.
Kein Licht an der Garderobe, die Gummistiefel der Kinder waren weg, ihre Anoraks; keine Fleischrolle in der Mikrowelle, nicht einmal ein Zettel auf dem Küchentisch.
Er ging nach oben, zog sich aus, ließ die Kleider einfach auf den Boden fallen und stieg freudlos unter die Dusche.
22
Was hatte Toppe erwartet? Einen muffigen Pauker, rechthaberisch und zugeknöpft?
Irgendsowas mußte es wohl gewesen sein, denn er konnte seine Überraschung kaum verhehlen, als Wilhelm Schmitt ihm die Tür öffnete und ihn freundlich in sein Arbeitszimmer bat, wo schon eine Kanne Kaffee und ein Teller mit Hefeteilchen auf sie warteten.
Er war ein zierlicher Mann mit wildem weißen Haarschopf und einer schmalen Nase.
Er sah gebrechlich aus, älter als Fünfundsechzig, aber seine Stimme war jung und seinen Augen entging nicht viel.
Toppe blieb mehr als drei Stunden und hatte oft Mühe, sich auf seine Fragen zu besinnen, so lebendig konnte der Mann erzählen.
Kein Zweifel, sie waren sich vom ersten Augenblick an sympathisch, und es würde mit Sicherheit nicht ihr letztes Treffen sein.
Um die Mittagszeit steckte Frau Schmitt ihre Nase ins Zimmer. »Es sieht nicht so aus, als hätte hier jemand Hunger.«
»Doch, doch«, versicherte ihr Mann, und sie brachte ihnen Linsensuppe mit Mettwürstchen und Schwarzbrot.
»Ich habe beide Familien gekannt, die van Veldens und die Rosenbergs. Wir wohnten damals über der Char’schen Buchhandlung, nur ein Stückchen weiter die Stadt hoch. Mit Hans Roderik hatte ich nicht viel zu tun; der war gute sechs Jahre jünger als ich, genau wie Salmon auch. Aber Rachel, Salmons Schwester, kannte ich ganz gut, die war ungefähr mein Jahrgang; mit der hab’ ich schon mal unten auf der Straße gespielt.
Die Geschichte der Juden hier in Kleve ist älter, als die meisten wissen. Die ersten jüdischen Familien sind schon im 18. Jahrhundert hierher gezogen und haben nach und nach ihre Geschäfte gegründet. Es waren nie viele. 1933 lebten etwa 200 Juden in der Stadt, nicht mal ein Prozent der Einwohner. Es gab eine Handvoll Akademiker, die
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