Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
geduldig und zu praktisch in seiner Sorge um ihr Wohlergehen gewesen. Er hatte durch so einen sorgfältig ausgeklügelten Plan nichts zu gewinnen, er hatte ihr keine Versprechungen gemacht und sie auch um nichts gebeten. Die Intimität, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, war zufällig und nicht das Ergebnis irgendeiner Berechnung, die er angestellt hatte. Davon abgesehen, würde kein normaler Mann so etwas machen.
Oder doch?
Sie rutschte von Luke weg und stützte sich auf einen Ellbogen auf. Sein Gesicht war im Schlaf entspannt, so dass er jünger und weniger zynisch aussah, obwohl er mit seinen dunklen Bartstoppeln ganz und gar nicht jungenhaft wirkte. Doch um seinen Mund hatten sich Lachfalten eingenistet, und in seinen Augenwinkeln war ein Geflecht winziger Lachfältchen. Seine Augen waren von einem dichten Wimpernkranz umgeben. Der klare Umriss seines Mundes war eine süße Versuchung, und die perfekten Konturen seiner Ohren erweckten in ihr den unwiderstehlichen Drang, ihn wach zu kitzeln.
„Nun“, sagte er verschlafen mit einem sinnlichen Unterton in der Stimme, „worauf wartest du noch?“
„Auf nichts“, gab sie mit einem erfreuten Auflachen zurück.
Und wartete wirklich nicht.
Viel später ging April mit ihrem Notizblock und ihrem Füller wieder einmal aufs Vorderdeck und ließ sich im Yogasitz auf der Bank nieder. Obwohl sie an diesem Morgen nicht in der rechten Stimmung war zu arbeiten, hatte sie doch schon vor langer Zeit entdeckt, dass die Inspiration eher kam, wenn sie bereit war. Deshalb schrieb sie jetzt, nur um einen Anfang zu machen, automatisch alles, was ihr in den Sinn kam, nieder und ließ ihre Gedanken in die schwarze Tinte und auf die Seite fließen. Manchmal klappte es.
Doch Luke störte ihre Konzentration. Er hackte die tief hängenden Zweige der Eiche ab, die das Fiberglas der Kabinenwände und das Dach zerkratzten. Diese Zweige band er als zusätzliche Tarnung an die Reling. Als er fertig war, holte er ein großes olivgrünes Netz, das er übers Kabinendach warf und auf dem hinteren Deck drapierte. Auf dem Dach stehend, reckte er sich nach einem Ast, an dem er das Netz befestigte, so dass es wie ein Zeltdach aufgespannt war, dann ließ er wieder los.
Der Ast sprang mit einem so scharfen Ruck zurück, dass der ganze Baum erzitterte. Bei dem Geräusch schaute April auf. In diesem Moment fiel etwas Langes, Grauschwarzes aus den Zweigen über ihr herunter. Es landete direkt auf ihrem Schoß.
Eine Schlange!
April stieß einen gellenden Schrei aus. Ihr Notizblock flog in die eine Richtung und ihr Füller in eine andere. Sie sprang auf und schleuderte die Mokassinschlange zu Boden. Die Schlange schlug mit einem dumpfen Geräusch auf und richtete sich sofort wieder halb auf. Sie zischte mit weit geöffnetem Maul und züngelte. Im selben Augenblick sprang April beiseite und stolperte gegen die Reling.
Über ihr entstand eine Bewegung, als Luke vom Kabinendach sprang. Er landete schwankend auf den Füßen und versuchte auf dem schaukelnden Boot sein Gleichgewicht wiederzufinden. Seine Augen waren hart, und die Axt, die er vorhin benutzt hatte, lag in seiner Hand.
Die Schlange erstarrte. Luke schwang die Axt. Im nächsten Moment flog der Kopf der Schlange, mit einem einzigen gezielten Schlag vom Rumpf abgetrennt, durch die Luft. Unmittelbar darauf sprang Luke vor und versetzte dem Kadaver einen Fußtritt, so dass er über den Bootsrand ins Wasser flog. Dann wirbelte er zu April herum.
Sie warf sich, am ganzen Körper heftig zitternd, an seine Brust. Er legte fest die Arme um sie und wiegte sie sanft hin und her wie ein Kind.
„Bist du okay? Sie hat dich doch nicht gebissen, oder?“
Sie schüttelte ruckartig den Kopf.
„Bist du sicher? Ich glaube nicht, dass …“
„Nein … nein, ich bin mir sicher. Ich bin nur …“
„Du bist erschrocken. Das wäre jeder. Das verdammte Vieh muss auf dem Ast über dir gelegen haben. Ich habe es nicht gesehen. Es tut mir Leid, ich …“
„Du kannst nichts dafür“, fiel sie ihm ins Wort.
„Hätte sie dich gebissen, hätte ich dir ein Schlangenserum spritzen müssen. Und wir sind so weit draußen, dass dir mächtig schlecht geworden wäre, bis ich dich im Krankenhaus gehabt hätte.“
„Es ist nichts passiert. Es geht mir gut.“ Sie hob den Kopf, um ihm einen forschenden Blick zuzuwerfen. „Hättest du mir wirklich ein Schlangenserum gespritzt? Kannst du so was denn?“
Er zuckte die Schultern, seine braunen Augen waren
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