Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
gehen. Es scheint, als ob der Anteil aus den Steueraufkommen für Öl und Gas, die die Regierung von Louisiana zwei Jahrzehnte lang an die Stämme in Louisiana ausgeschüttet hat, nicht zu verachten war, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Geldern aus Washington. Und jetzt, wo sie überall auf dem Land die Spielkasinos eröffnen, ist er sogar noch höher. Jeder, der nachweisen kann, dass zu einem Achtel oder sogar nur zu einem Sechzehntel indianisches Blut durch seine Adern fließt, kann sich an jedem Ersten des Monats einen Scheck abholen. Manche Familien fahren nicht schlecht dabei. Du siehst also, dass es sich auszahlen kann, die Abstammungsverhältnisse zu klären.“
„Und wo liegt das Problem?“
Betsy schüttelte langsam den Kopf. „In den Akten, Schätzchen. Die Cousine meines Mannes hat etwas herausgefunden, was sie eigentlich lieber nicht herausgefunden hätte. Wie es scheint, waren ihre Vorfahren nämlich nicht schon hier, um Kolumbus vom Strand aus fröhlich zuzuwinken, sondern man hat sie erst später auf Sklavenschiffen hergebracht.“
„Oh je.“
„Du sagst es.“
April verstand, worauf Betsy hinauswollte. Es mochte Teile der Welt geben, in denen derartige Enthüllungen nur geringes Interesse hervorriefen. Aber in Louisiana war das anders, obwohl gemischtrassige Verbindungen von Jahr zu Jahr als normaler betrachtet wurden. Dass Betsy sich nicht im Geringsten darüber aufzuregen schien, war zu begrüßen, andererseits ging es hier aber um die Abstammung ihres Mannes, und die beiden hatten keine Kinder. Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn es sie ganz persönlich betroffen hätte.
„Glaubst du wirklich, dass die Benedicts in derselben Situation sein könnten?“ fragte April.
„Wer weiß? Auf jeden Fall sind viele Ältere wie Granny May nervös deswegen, weil ihre Generation am meisten unter dieser ganzen Sache gelitten hat. Sie würden lieber nicht daran rühren, weil sie Angst haben, irgendetwas könnte sein Haupt heben und sie beißen. Und dass jemand anders daran rührt, passt ihnen natürlich erst recht nicht.“
„Das verstehe ich ja, aber …“
„Aber was?“
„Wie weit würden sie gehen, um es zu verhindern, was glaubst du?“
„Gute Frage“, sagte Betsy mit einem Kopfschütteln. „Ich wünschte, ich wüsste es.“
In diesem Moment wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt, weil durch die Menschenmenge am Ufer ein Ruck ging. Immer mehr Leute strömten heran und mischten sich unter die bereits Anwesenden. Alle reckten die Hälse und schauten flussaufwärts. Ein paar Jungen, die am Rand des Kais balancierten, deuteten mit dem Finger und brüllten irgendetwas.
Und dann schrie plötzlich eine Stimme: „Sie kommen!“
Das Flussufer warf das Echo des Schreis, der das Fest einläutete, zurück. April schirmte ihre Augen mit der Hand gegen das grelle Sonnenlicht ab, während sie auf die weite Flussbiegung schaute, hinter der die Piraten jeden Augenblick auftauchen konnten. Die flimmernde Hitze und die auf dem Wasser tanzenden glitzernden Sonnenstrahlen erschwerten die Sicht, obwohl sie sich einbildete, Schatten über die Wellen huschen zu sehen.
Und dann tauchte der Prahm, dessen Segel sich im Wind bauschten, mit seiner wilden Besatzung hinter der Flussbiegung auf. Der große Kahn wurde von einem sorgfältig getarnten Motor angetrieben, obwohl die Crew an Bord eine mächtige Show daraus machte, ihr Fahrzeug mit Schifferstangen ans Ufer zu bugsieren. An dem hohen Schiffsmast in der Mitte des Prahms flatterte über dem Segel eine schwarze Flagge im Wind.
Neben dem Mast stand, mit einem gestiefelten Fuß auf einer Kiste, ein hoch gewachsener Mann, der sich ein schwarzes Tuch um den Kopf geschlungen hatte. Zu seinem weiten weißen Hemd, das sich im Wind bauschte, trug er eine knielange Lederhose sowie einen breiten Gürtel, in dem ein Messer und eine Pistole steckten. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein grimmiger Ausdruck. Es war Luke, er wirkte wild und ungezähmt und weitaus attraktiver, als er in so einer lächerlichen Aufmachung eigentlich hätte wirken dürfen.
Als er den Kopf drehte, trafen sich ihre Blicke. Dann wanderte sein Blick an April nach unten zu den weißen Petticoats, die ihr um die Fesseln schwangen. Über sein Gesicht huschte ein beifälliger Ausdruck, als er sie wieder anschaute und für einen ganz kurzen Augenblick die Hand zum Gruß an die Schläfe legte. Bestimmt ist er froh, in dir eine Leidensgefährtin zu haben, dachte April, während sie seine
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