Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
Geste mit einem kurzen Winken beantwortete.
Der Prahm kam, über die Wellenkämme hüpfend, näher. Einer der Männer neben Luke – vielleicht der Sohn von Tom Watkins, dem Besitzer des Futtermittel- und Samenladens im Ort – beugte sich zu ihm hinüber und sagte irgendetwas. Luke schaute wieder zur Yacht, wo sich inzwischen die anderen Gäste zu April und Betsy an die Reling gesellt hatten. Er antwortete, dann lachte er ein lautes fröhliches Lachen, das über das Wasser schallte.
Plötzlich durchzuckte April ein höchst beunruhigender Gedanke. Luke wusste genau, wo sie war und was sie anhatte. Er hatte es arrangiert, dass sie auf der Yacht war, damit er wusste, wo er sie finden konnte, wenn die Piraten sich zu ihrem Raubzug aufmachten.
Sie war in eine Falle gelockt worden.
Der Lastkahn, der gelbbraunes Wasser vor sich herwälzte, kam näher. Die Leute strömten zum hinteren Ende des Kais, wo er vor Anker gehen würde. Die Menge war beträchtlich angewachsen, seit April zum letzten Mal hingeschaut hatte. Und immer noch kamen Leute dazu, die eilig aus ihren Autos sprangen, als sie sahen, dass die Gefahr bestand, den mit Spannung erwarteten Moment zu verpassen.
April wartete, bis das Piratenschiff seine Fahrt verlangsamte und gemächlich auf den Kai zuhielt. Als die Menge am Ufer in dem nicht ganz ernst gemeinten Versuch, die Eindringlinge in die Flucht zu schlagen, nach vorn schwappte, trat sie von der Reling zurück, dann wartete sie, bis sich eine größere Gruppe herumalbernder Jugendlicher zwischen sie und den Lastkahn schob. Gleichzeitig verabschiedete sie sich von Betsy mit einer hastigen Entschuldigung. Lukes Cousine protestierte, aber April hörte gar nicht hin. Sie raffte ihre Röcke, wirbelte herum und rannte vom Schiff herunter und den Kai entlang. Da, endlich konnte sie in der Menschenmenge untertauchen. Doch statt sich mitschwemmen zu lassen, bewegte sie sich gegen den Strom der Feiernden.
Halb laufend, halb rennend umrundete sie Familien und wich Paaren aus. Sie musste weg sein, bevor Luke sie entdeckte, sie musste zu ihrem Auto kommen, wenn sie ihm einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er auf kürzestem Weg dorthin gehen würde, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Er wollte sich einen Riesenspaß daraus machen, sie bei seinem triumphalen Einzug in Turn-Coupe als seine Gefangene zu präsentieren. Vielleicht erwischte er sie im Verlauf des Festivals ja doch noch irgendwann, aber sie war auf jeden Fall fest entschlossen, es ihm so schwierig wie möglich zu machen.
Sie hörte hinter sich Gebrüll und ein paar schrille Pfiffe. Als sie sich umdrehte, sah sie Lukes mit dem schwarzem Tuch bedeckten Kopf in der Menge auftauchen, während er und seine Crew sich ihren Weg an Land bahnten. April hatte bereits die Hälfte des Wegs zum Parkplatz zurückgelegt, als sie den lauten Triumphschrei hörte, mit dem die Piraten verkündeten, dass ihre Invasion auch dieses Jahr wieder erfolgreich verlaufen war.
Ganz kurz nach diesem Siegesschrei war ein lautes Brummen zu hören, das in einer gewaltigen Explosion gipfelte. Die Erde bebte. April wurde von einer heißen Druckwelle zurückgeschleudert, so dass sie taumelte und hinfiel. Ein scharfer Schmerz durchschoss ihre Knie und Hände. Für einen Moment verharrte sie reglos in einer ohrenbetäubenden Stille. Dann atmete sie tief durch, und gleich darauf drang lauter Lärm an ihr Ohr.
Schrille Schreie zerrissen die heiße Luft. Sie wirbelte herum.
Menschen krochen und rannten in alle Himmelsrichtungen auseinander. Holzstücke und Metallsplitter regneten vom Himmel und fielen krachend und platschend auf den Asphalt, den Holzsteg und ins Wasser. Flammen schlugen empor und leckten an den schwarzen Rändern einer pilzförmigen Rauchwolke. Mehrere Menschen waren im Fluss und versuchten verzweifelt ans Ufer zu kommen, wobei ein oder zwei von der starken Strömung mitgerissen wurden. Wo das Hausboot vor Anker gelegen hatte, war jetzt nur noch ein in Flammen stehendes Wrack, aus dem schwarzer Qualm aufstieg.
April rappelte sich mühsam auf, raffte ihre Röcke und setzte sich in Bewegung. Im selben Moment sah sie Luke auf das brennende Schiff zurennen. Er wich Leuten aus und drängte Neugierige zur Seite. Als er das, was von der Yacht übrig geblieben war, erreicht hatte, sprang er, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil zu zögern, ins Wasser. Er tauchte fast sofort wieder auf und schwamm mit langen kräftigen Stößen
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