Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
Zusammengenommen war es wahrscheinlich ein Indikator für den Stress, dem sie schon seit einer geraumen Weile ausgesetzt war. Sie musste wirklich dringend etwas dagegen unternehmen und das würde sie auch, sobald sie ihre derzeitigen vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hatte, sobald sie herausgefunden hatte, wer sie belästigte, sobald sie jemanden gefunden hatte, mit dem sie die Last ihrer vielfältigen Verantwortlichkeiten teilen konnte …
Wo war dieser Gedanke jetzt plötzlich hergekommen?
Das hatte sie nicht gemeint. Irgendjemand in ihrem Leben war das Letzte, was sie brauchte.
Da sie sich im Augenblick nicht an der allgemeinen Unterhaltung beteiligte, die sich um ein Golfturnier in Florida drehte, stand sie auf, trat an die Reling und schaute flussabwärts. Von hier aus hatte sie einen vorzüglichen Blick auf die Einfallschneise, durch die bald die Piratenflotte in Sicht kommen würde. Es konnte eigentlich nicht mehr allzu lange dauern. Der größte Teil der Menschenmenge hatte sich mittlerweile auf der großen Rasenfläche des Parks hinter dem Hafen versammelt, gegenüber dem Kai, an dem die Seeräuber an Land gehen würden.
„Was ist los, Honey? Bist du nicht in der Stimmung zu feiern?“
April setzte ein Lächeln auf, bevor sie sich Betsy zuwandte. „Gar nichts ist los. Ich warte nur darauf, dass es endlich losgeht, genau wie alle anderen auch. Ich dachte gerade an … Kane und Regina. Haben sie sich schon gemeldet?“
„Machst du Witze? Turn-Coupe ist bestimmt das Letzte, woran sie im Augenblick denken. Wir haben Glück, wenn wir innerhalb des nächsten Jahres auch nur einen einzigen Satz von ihnen hören – oder mindestens, bis sie ein Baby gemacht haben.“
„Oh, Betsy“, sagte April lachend.
„Glaubst du, ich mache Spaß? Das solltest du nicht denken. Du kennst Kane … und seine Regina. Die beiden kleben so aneinander, dass es schon eines chirurgischen Eingriffs bedürfte, um sie zu trennen.“
„Muss Liebe schön sein.“ Es war der übliche ironische, derartigen Situationen angemessene Kommentar, wie April sich einzureden versuchte. Es bedeutete nichts. Dennoch fügte sie, als sich ihr Unbehagen noch weiter erhöhte, hastig hinzu: „Es gibt da etwas, was ich dich gern fragen möchte, wenn es dir nichts ausmacht.“
„Das weiß ich erst, wenn du es mir sagst“, gab Betsy aufgekratzt zurück.
„Es geht um die Benedicts. Luke möchte nicht, dass ich über die Familiengeschichte schreibe, aber mir ist immer noch nicht klar, warum. Als ich ihn fragte, kam er nur mit einer vagen Ausrede von wegen, dass seine Großmutter es nicht will oder so. Hast du eine Ahnung, was da dahinterstecken könnte?“
Betty hob eine Schulter. „Nein, ich kapier das auch nicht. Ich meine, schließlich hast du doch bestimmt nicht vor, unsere kleine Stadt in ein weiteres
Peyton Place
zu verwandeln, oder?“
„Wohl kaum“, gab ein April mit einem Lächeln zurück. „Obwohl, jetzt, wo du es sagst …“
„Ich weiß, ich weiß, jede Stadt hat ihre schrägen Vögel. Aber du verstehst, was ich meine.“
April wurde ernst. „Nur zu gut. Aber mein Süden ist nicht so, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil die Leute, die ich kenne, nicht so sind.“
„Und womit hast du dann Öl ins Feuer gegossen?“
„Ich glaube, es geht hauptsächlich um Lukes indianische Vorfahrin, die die ersten Benedicts hier in diese Gegend geführt hat. Sie muss schon eine beeindruckende Frau gewesen sein, einfach so mit vier Männern, die immer mit einem Bein im Gefängnis standen, in der Wildnis zu leben. Einen von ihnen hat sie geheiratet, aber es gibt nur wenig gesicherte Informationen über sie. Sie hat sich offenbar noch vor ihrer Heirat taufen lassen und einen christlichen Namen angenommen. Allerdings habe ich irgendwo gehört, dass ihre Leute ihren Leichnam nach ihrem Tod geraubt haben, um ihn auf dem Land ihres Stammes zu begraben.“
„Ach ja? Davon habe ich nie gehört, obwohl sie mit mir ja auch verwandt war. Aber du solltest wirklich ein bisschen vorsichtig sein, wenn du in diesem Gebeinhaufen gräbst, Liebes.“
April schaute sie forschend an.
„In der Familie meines verstorbenen Mannes gab es einen Zweig, der immer behauptete, indianisches Blut in den Adern …“
„Ureinwohnerblut“, korrigierte April grinsend.
„Ja, richtig. Nun, eine Menge Leute hier haben Vorfahren, die sozusagen in den Wäldern gehaust haben. Deshalb beschloss einer der Cousins meines Mannes, der Sache auf den Grund zu
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