Benedikt XVI
Vordergrund komme.
In
den Schuhen des Fischers
Die schwarzen Ringe unter den
Augen wurden anfangs, wenn ich das so sagen darf, zu Ihrem besonderen Kennzeichen.
Am Ende der Ära Johannes Rauls IL, so heißt es, sei eben doch auch ziemlich
viel liegen geblieben, schon bedingt durch seine Krankheit.
Sicher hat Johannes Paul II.
manchmal gezögert, Entscheidungen zu fällen. Aber insgesamt war durch die
Mitarbeiter, die er gewählt hatte, der Fortgang der Geschäfte durchaus
gegeben. Und die großen Entscheidungen hat er nach wie vor getroffen. Er war
leidend, aber er war wissend. Insofern war an sich das Gerät der Kirche, wenn
man so sagen will, durchaus in Aktion.
Es ist kein Geheimnis, dass sich
Johannes Faul II. für die Belange der römischen Kurie nicht besonders stark
engagiert und interessiert hat.
Trotzdem hat er die Kurienreform
gemacht und der Kurie ihre jetzige Struktur gegeben. Auch wenn er viele Entscheidungen
dann den Mitarbeitern überließ, so hat er doch stets das Ganze im Blick gehabt
und die wesentlichen Verantwortungen durchaus selbst wahrgenommen.
Hat die lange Krankheit
möglicherweise auch Reformvorhaben geblockt, die ansonsten längst eingeleitet
worden wären?
Ich glaube nicht. Er hatte so
wichtige Akzente gesetzt, dass es eigentlich fast notwendig war, nach den
großen Aufbrüchen, den vielen neuen Verkündigungen, Enzykliken und Reisen mit
all ihren Programmen eine Zeit des Innehaltens zu haben, in der man diese Dinge
allmählich durchdringen und sich aneignen konnte. Und es sind noch in den
letzten Zeiten berührende neue Texte entstanden. Etwa das Apostolische
Schreiben "Tertio millennio adveniente" zur Vorbereitung auf das
Millenniums-Jahr 2000. Das ist ein Text, der ganz warmherzig, fast poetisch
ist.
Die Zeit
seines Leidens war ja keine leere Zeit. Ich glaube, für die Kirche selber war
es sehr wichtig, gerade nach einer großen Aktivität dann die Lektion der Passion
zu haben und zu sehen, dass die Kirche auch durch Passion geleitet werden kann,
und dass sie gerade durch die Passion reif wird und lebt.
Diese Passion schien das kieloben
schwimmende Schiff Kirche nachgerade umdrehen zu können. Wie über Nacht tauchte
eine Generation junger, frommer Menschen auf, die zuvor kaum jemand
wahrgenommen hatte.
Das Mitleid war gewaltig. Man konnte
sehen, dass die Lektion des leidenden Papstes ein Lehramt war, das über das
Lehramt des sprechenden Papstes noch hinausging. Das Mitleiden, die
Erschütterung, die Begegnung in gewisser Weise mit dem Leiden Christi, hatte
die Menschen tiefer ins Herz getroffen als das, was er in der Aktivität tun
konnte. Es hatte wirklich einen neuen Aufbruch, auch eine neue Liebe zu diesem
Papst entfaltet. Ich würde nicht sagen, dass sich dadurch eine totale Wende in
der Kirche vollzogen hat. Es sind ja in der Weltgeschichte so viele Akteure und
Aktionen wirksam. Aber es war ein Akzent, in dem plötzlich die Macht des
Kreuzes sichtbar wurde.
Ihre Wahl zum 265. Oberhaupt der
universalen Kirche wurde von niemandem stärker begrüßt als von jüdischen
Organisationen. Joseph Ratzinger habe bereits in seiner Zeit als Präfekt der
Glaubenskongregation die Untermauerung für die Annäherung der beiden Weltreligionen
geliefert, so Israel Singer, damals Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses;
er habe im Positiven "die zweitausendjährige Geschichte der Beziehungen
zwischen Judentum und Christentum verändert".
Als erster
Papst luden Sie einen Rabbiner ein, vor der Bischofssynode zu sprechen. Sie
stoppten den Seligsprechungsprozess für einen französischen Priester, dem antisemitische
Reden vorgehalten wurden. Sie haben mehr Synagogen besucht als alle Päpste vor
Ihnen. Die "Süddeutsche Zeitung" vermeldete damals: "Er bekennt
sich zur jüdischen Genese des Christentums, wie sie noch keinem Papst aus der
Feder floss."
Gleich
Ihre erste Amtshandlung als Nachfolger Petri bestand in einem Brief an die
jüdische Gemeinde von Rom. Sollte diese Symbolik einen Grundtenor des
Pontifikates verdeutlichen?
Auf jeden Fall. Ich muss sagen,
dass mir vom ersten Tag meines Theologiestudiums an die innere Einheit von Altem
und Neuem Bund, der beiden Teile unserer Heiligen Schrift, irgendwie sofort
klar war. Mir war aufgegangen, dass wir das Neue Testament nur zusammen mit
dem Vorangegangenen lesen können, ansonsten würden wir es gar nicht verstehen.
Dann hat natürlich uns als Deutsche
getroffen, was im Dritten Reich
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