Benkau Jennifer
schwankte einen Schritt in ihre Richtung. Im gleichen Moment glommen rote Augen unter der Kapuze auf. In ihrem Schein schmolz der Schnee und Dampf stieg empor, in dem das Glühen sich fing. Es wurde warm. Heiß. Samuel erkannte den Huf, der unter dem Mantel hervorblitzte. Er sah, dass es Hörner waren, die die Kapuze ausbeulten. Klauen schossen aus den Ärmeln der Gewandung. Es war zu spät, um zurückzuweichen. Er hatte sich entschieden. Er hatte dem Werben des Teufels nachgegeben. Das Tuch, sein letzter Halt, entglitt seinen Händen und fiel zu Boden. Er trat den letzten Schritt näher, senkte den Kopf und ließ zu, dass die Gestalt seine Stirn berührte.
„Mein guter Junge“, erklang ihre Stimme noch einmal in der sanften Tonlage Elisabeths. Dann veränderte sie sich, wurde zu einem schneidenden Kreischen, erfüllt von Hohn. „Jetzt stirb, du jämmerlicher Bastard!“
Samuel erwachte. Es war warm und sein Gesicht lag auf weichem Gras. Vögel sangen und nah an seinem Ohr summte ein Insekt. Die Winternacht war vorbei. Irritiert hob er den Kopf. Um ihn herum grünte und blühte alles. Er befand sich auf einer Lichtung inmitten dichten Waldes. Obwohl er nirgendwo die Sonne entdecken konnte, war alles hell und lichtdurchflutet. Die Bäume warfen keine Schatten.
Sein Körper war frei von jedem Schmerz und fühlte sich gesund und sauber an. Seine Seele war nichts davon. Oh Gott. Die Erinnerung an Elisabeths Leichnam ließ ihn stöhnend in sich zusammensacken. Es gab keinen Gott, denn wenn es ihn gäbe, dann hätte er niemals solches Unrecht zugelassen. Sie verfiel in ihrem kalten Blut und ihn umschmeichelten sommerwarmer Wind und der Duft wilder Kräuter.
„Wach auf. Du kannst nicht länger schlafen.“
Samuel schrak auf und sah in das Gesicht eines Kindes, das nah neben ihm kniete und sich zu ihm herabbeugte. Ihr langes, silberweißes Haar streifte seine Wange. Wo zum Teufel war das Mädchen hergekommen? Es war einen Moment zuvor noch nicht da gewesen. Traurigkeit stand in seinen Augen, doch die Stimme war klar und fest.
„Steh auf. Stell dich mir endlich. Ich habe gewartet.“
Er gehorchte, konnte das puppenhafte Wesen jedoch nur anstarren. Seine Haut war so weiß und makellos, als wäre sie aus gepuderter Seide. Sein Haar erinnerte an feine Spinnweben, in denen Tau glitzerte. Nur die Lippen waren rot wie gemalt.
„Wo bin ich?“
Das Kind richtete sich ebenfalls auf und zuckte auf unbekümmerte Art die Schultern. „Nenn es, wie immer du willst. Dies ist das Paradies. Das Elysium, der Garten Eden, das Heim Elohim. Oder auch das Himmelreich, Hades, …“
„Ich verstehe nicht“, unterbrach Samuel. Der mahnende Blick des Kindes ließ ihn verstummen.
„Du verstehst nicht, warum du hier bist. Nicht wahr? Weil du dich dem Teufel verkauft hast. Dieser Ort müsste dir verschlossen sein. Oh ja, ich weiß davon.“ Himmelblaue Augen sahen ihn eindringlich an und gaben unverhohlen preis, dass sie so uralt waren, wie all die Seen und Meere, die sich in ihnen zu spiegeln schienen. Vielleicht gar so alt wie der Himmel selbst. Das Mädchen lachte, nahm in einer kindlich anmutenden Geste den Saum ihres Röckchens in die Hand und tanzte munter ein paar Schritte voraus. „Nun komm schon. Komm, Samuel, der meinen Auserwählten hat scheitern lassen. Komm, und lass es dir erklären.“
Für einen Moment verfolgte er mit seinem Blick die Flugbahn eines schillernden Schmetterlings. Beinahe gläsern waren seine Flügel, sodass Samuel hindurchsehen konnte, wenn der Falter sich auf einer der unzähligen Blüten niederließ und kurz verharrte. Doch schließlich riss er sich von dem Anblick los und folgte dem Mädchen auf einem schmalen Pfad in den Wald. Sie hatte nicht auf ihn gewartet und er musste laufen, um zu ihr aufzuschließen.
„Es ist sehr schön hier“, sagte er, nachdem beide lange geschwiegen hatten. „Aber auch sehr eigenartig.“ Fürwahr, das war es wirklich. Der Ort schien unberührt und menschenleer, sodass sich die seltensten Tiere hervorwagten. Samuel sah Vögel, deren Gefieder von Farben war, die er nie zuvor gesehen hatte. Hasen, Füchse, Hirsche und Schlangen blickten ihn aus dem Dickicht freundlich an. In den Wipfeln verschiedener Bäume spielten Affen aller Arten in miteinander verflochtenen Lianen, an denen sie schaukelten. Sie keckerten und winkten ihm zu. Hin und wieder zeigten sich Tiere, für die es in seiner Sprache keine Namen gab.
Jede Pflanze stand in voller Blüte, der Wind trug die
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