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Benkau Jennifer

Benkau Jennifer

Titel: Benkau Jennifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phoenixfluch
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schüttelte er den Kopf und betrachtete seine Hände. „Wie lange ist es her?“
    „Es waren zähe Verhandlungen. Ihr schreibt das Jahr 1896, Samuel.“
    Acht Jahre alt, sprach er die Gedanken aus, die versuchten, aus dem Himmelreich zu fliehen, um einen imaginären Blick auf das Kind zu erhaschen. Sein Sohn. Er hatte ihn nicht einmal ansehen wollen, damals, in der Winternacht. Leonard. Ob er Elisabeth ähnlich sah? Ob er ihm selbst ähnlich sah?
    „Hast du keine Fragen mehr?“, wollte Moira wissen. Mit einem Mal war ihre Stimme wieder unbekümmert, nahezu neckisch. Sie setzte sich auf sein Knie, als wäre er ein Onkel, von dem sie verlangte, er möge ihr ein Märchen erzählen. „Das wäre schade, denn ich weiß noch Antworten.“
    Die Nähe zu dem uralten Kind verstörte ihn, er hätte sie am liebsten fortgeschoben. „Warum hast du mich dem Teufel genommen? Und warum erinnere ich mich nicht an die Hölle?“
    Sie schmunzelte, als hätte er etwas Dummes gesagt. „Solange wir noch um deine Seele stritten, warst du nie in der Hölle. Du warst in einem Zwischenreich. Stell dir vor, du hättest sehr lange geschlafen.“
    Oh ja, so fühlte er sich auch.
    „Zu deiner anderen Frage. Nun, es ist so: Du hast versagt, zweifelsohne. Aber du gehörst immer noch zu der von mir auserwählten Blutlinie. Dich dem Teufel zu überlassen, wäre einem erneuten Versagen gleichgekommen. Ich versage ungern, Samuel. Ich will dich nicht der Schuld überlassen. Du sollst deine Strafe erhalten, um zu lernen.“
    Er nickte ergeben, fragte nicht nach der Art der Strafe, oder danach, was er lernen sollte. Sie würde es ihm sagen und er wollte hinnehmen, was immer es war.
    „Nun komm schon“, rief sie fröhlich, sprang auf die Füße und zog an seiner Hand. „Es wird Zeit. Ich will dir etwas zeigen.“
    Ohne seine Finger aus ihrem klammernden Griff freizugeben, führte sie ihn tiefer in diesen märchenhaften Wald. Schreie wilder Tiere und nach ihm greifende Pflanzenarme erschreckten Samuel, doch das Mädchen lachte nur. Ohne anzuhalten bückte sie sich zum Boden, hob einen blau schillernden Käfer auf und ließ ihn zwischen den Fingern ihrer freien Hand hindurchkrabbeln. Dann steckte sie ihn in den Mund. Mit lautem Knirschen zerkaute sie das Insekt und schluckte es hinunter. Ekel stieg in Samuels Kehle hoch, aber er war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Er wollte nicht wissen, wovon das Schicksal noch speiste, wenn es hungrig war.
    Schließlich erreichten sie eine gewaltige Eiche. Nie hatte er einen größeren Baum gesehen und sein Blick wanderte voller Ehrfurcht den Stamm entlang, der so riesig war, dass es wohl mehrere Minuten dauern würde, um ihn im Wanderschritt zu umrunden.
    Moira streichelte liebevoll die rissige Rinde. „Der Weltenbaum. Manche nennen ihn auch den Baum des Lebens oder den Baum der Ewigkeit. Auf seinen Kronen trägt er den Himmel und seine Wurzeln reichen bis tief in die Hölle. Sein Stamm ist der freie Wille der Menschheit. Er verbindet Gut und Böse, denn einzeln und ungehalten würden alle untergehen. Jedes Blatt an diesen Zweigen steht für die Seele eines Menschen, der auf Erden wandelt. Es ist erstaunlich, weißt du? Jedes davon ist einmalig. Ich habe schon so viel Zeit damit verbracht, zwei zu finden, die sich gleichen. Es ist mir nie gelungen.“ Sie freute sich sichtlich über ihren Misserfolg.
    „Es fallen so viele dieser Blätter zu Boden“, stellte Samuel fest. Er konnte nur ahnen, was dies bedeutete, und seine Vermutung bedrückte ihn.
    „Natürlich. Aber schau genau hin, dann siehst du auch, wie ständig Neue sprießen.“
    Er folgte mit dem Blick ihrer ausgestreckten Hand, aber so sehr er auch die Augen verengte, er sah nichts sprießen. Es fiel nur altes Laub aus den Ästen dieser Eiche.
    Plötzlich hob Moira, wie um Aufmerksamkeit heischend, den Zeigefinger. „Horch! Er kommt.“
    Zunächst hörte Samuel nichts. Doch dann vernahm er ein rhythmisch wiederkehrendes Geräusch. Es klang wie scharfe Klingen, die stetig durch Seide glitten, und es kam näher. Sein Atem versagte ihm den Dienst, als ein gewaltiger Vogel scheinbar mühelos zwischen den Bäumen hindurchflog. Seine Schwingen verfehlten die Stämme bei jedem Flügelschlag nur um Haaresbreite. In seinem Gefieder spielte jede nur vorstellbare Nuance der Farben Gold und Rot. Wie Feuer leuchteten die Federn bei seinen Bewegungen. Sein Kopf war eher der eines Drachen als eines Vogels, denn in dem Schnabel glänzten messerscharfe

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