Benkau Jennifer
drehte er um und verschwand durch die Menge, wobei die Leute ihm wie selbstverständlich auswichen, um ihm eine Schneise für seinen Abgang zu schaffen, die sich dicht hinter ihm wieder schloss.
Helena blieb mit einem Vibrieren in den Knochen zurück und murmelte ihm ein höhnisches „Drama, Baby“ hinterher.
Ein erbärmlicher Versuch, sich darüber lustig zu machen, wie sehr er sie erschreckt hatte.
Der nächste Schock wartete nebst einem späten Imbiss aus Crackern, Käse, Trauben und köstlichem Wein bei Steffi. Georg hatte weder Helenas Namen noch ihre Handynummer von ihrer Freundin bekommen. Eisige Kälte nahm von Helena Besitz und verdrängte die Wärme der ersten Schlucke Wein. Woher dann?
Doch sogleich fasste Steffi sich an den Kopf und raufte sich die schwarzen Locken. „Natürlich“, meinte sie. „Er wird Kontakt zu den Veranstaltern haben oder selbst dazugehören. Ich habe dich in die Liste derer eintragen lassen, die per SMS zu den Events eingeladen werden. War das zu voreilig?“
„Schon in Ordnung“, antwortete Helena, obwohl sie es alles andere als in Ordnung fand, es war ihr bei Weitem zu voreilig. Aber sie war erleichtert über die Aufklärung sowie über die Tatsache, dass er in diesem Fall nur ihre Handynummer und den Vornamen hatte.
„Ich kenn solche Typen“, meinte Steffi leichthin. „Du unterhältst dich einmal mit ihnen, und schon ist der erste Punkt auf ihrer Was-hat-der-Neandertaler-zu-tun-Liste, eine heiße Nummer mit dir zu schieben, seine Brunftlaute zu grunzen, und dich dann in den Wind zu schießen.“ Sie nahm einen großzügigen Bissen von ihrem Cracker und sprach mit vollem Mund weiter. „Aber wenn er wirklich so toll aussieht, solltest du vielleicht einfach mit ihm schlafen und dich abservieren lassen. Danach ist Ruhe.“
Helena verschluckte sich am Rotwein. „Steffi!“, stieß sie hustend hervor.
„Ach, was ist denn schon dabei? So hättet ihr beide was davon.“
„Keine Option. Im Übrigen ist mein Single-Dasein ohnehin beendet.“ Der Gedanke an Samuel ließ Helena seufzen und sich rückwärts in die Sofakissen fallen. „Es gibt inzwischen jemanden, mit dem es mir ernst ist.“
Sie erzählte, dass sie sich mit Samuel getroffen hatte, und auch wenn Steffi erstaunt schien, so freute sie sich schließlich für sie, was selbstredend an der aller paranormalen Umstände beschnittenen Version der Geschichte lag. Es wurde eine kurze Erzählung und natürlich vergaß Steffi nicht, Helena daran zu erinnern, dass Samuel kleine Ohrläppchen hatte, und damit ein potenzieller Lügenbold sein musste.
Helena fand an diesem Abend noch lange Ablenkung in trivialem Geplauder über Männer und Beziehungen. Aber weder Samuels Schicksal noch die seltsame Begegnung mit Georg ließen ihr Ruhe.
Als sie spät in der Nacht im Gästezimmer von Dunkelheit umgeben im Bett lag, erwartete sie, besonders schlecht zu träumen. Tatsächlich aber schlief sie ruhig und erwachte erst gegen neun Uhr, weil Cat gelangweilt im Zimmer auf und ab tappte und mit den Krallen auf dem Teppich kratzte.
Die morgendliche Gassi-Runde fiel klein aus, und das Frühstück mit Steffi, die sie mit neckischem Spott überhäufte, bestand aus einer Tasse Tee und einem Toast im Stehen. Aber Samuel hatte versprochen, sie um zehn zu Hause abzuholen und Helena war auf dem besten Weg, sich zu verspäten.
Der Morgen hatte vielversprechend mit klarem Wetter, Sonne und milden Temperaturen begonnen. Aber das Wetter fand oft seine Freude an der Vortäuschung falscher Tatsachen, so fiel Samuel nicht darauf herein. Dass Helena zur verabredeten Zeit nicht zu Hause war, entlockte ihm nicht mehr als ein bitteres Grinsen. Er unterdrückte den Drang, ein zweites Mal zu klingeln. Was hatte er eigentlich erwartet? Akzeptanz des Unmöglichen? Das konnte er vergessen. Toleranz fand sich in Worten sehr viel häufiger als in Taten. In menschlichen Überzeugungen ging sie grundsätzlich nur bis zu den Grenzen des individuellen Horizonts. Er hatte allerdings angenommen, Helenas Horizont sei weiter, als der der anderen. Naiver Trottel.
Doch im nächsten Augenblick kam ihr gelber Polo um die Ecke geschossen. Das Lächeln, welches sie ihm durch die Windschutzscheibe zuwarf, beleidigte seine Zweifel an ihr und jagte sie mit Schimpf und Schande davon.
Helena sprang aus dem Wagen, war mit drei Schritten bei ihm und küsste ihn stürmisch auf den Mund. Ihre Lippen schmeckten nach Pfefferminz, und Samuel begann, sich an diesen Geschmack zu
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