Benny und Omar
Wahrscheinlich hatten die Deutschen es zurückgelassen. Es war ursprünglich wohl für Gefangene gedacht gewesen, denn Kaheena war mit zwei dicken Lederriemen darauf festgebunden.
Omar fing an zu schluchzen. Seine hervorstehenden Rippen hoben und senkten sich heftig. Wali strich ihm möglichst sanft über den Kopf. Bei einer so großen Hand war das, als versuchte man, mit einer Brechstange eine Türklingel zu betätigen. Das Mädchen schlug die Augen auf, aber sie war nicht wirklich wach. Wahrscheinlich hatte man ihr Medikamente gegeben. Aber sie erkannte Omar. Sofort. Mit einem schmerzlichen Lächeln auf den Lippen streichelte sie seine Hand. Omar schniefte kräftig und fuhr sich in dem Versuch, eine tapfere Miene zu ziehen, mit dem Ärmel über das Gesicht.
»Asslama ukht. Sh’nawalek?«
Kaheena nickte schwach und legte eine Hand auf ihr Herz. Omar brach wieder zusammen. Es ging ihr alles andere als gut. Kaheena hielt ihr selbst gebasteltes Kamel hoch. Ihr Bruder nahm das Spielzeug und streichelte es sanft.
Benny überlegte, ob er auch so berührt wäre, wenn er Georgie in einem solchen Zustand sähe. Er versuchte sich den Schleimer in diesem Bett vorzustellen, aber das Bild wollte nicht Gestalt annehmen.
»Auch mal wieder da, Ire«, sagte eine Stimme hinter ihm. Benny fuhr herum, als hätte er sich an ein ausländisches Gefangenenlager herangeschlichen und hinter sich plötzlich seine Muttersprache gehört.
»Konntest nicht wegbleiben, was?«, sagte die Stimme. Ein Goldzahn blitzte in der Dunkelheit auf.
»Oh, guten Abend, Mister Asaad.«
»Hallo …«
»Benny.«
»Benny. Komm mit raus und lass Omar ein bisschen mit seiner Schwester plaudern.«
Benny schluckte. »Sie werden mich aber nicht umbringen oder so?«
Samir lachte. »Das habe ich mir noch nicht überlegt. Aber ich könnte, mein Junge. Vom Gesetz bin ich dazu ermächtigt. Immerhin bist du ein Einbrecher.«
»Jaa … aber ich bin … Sie wissen schon.«
»Was?«
»Nun, Sie wissen schon …«
»Ach so, du meinst, du bist ein Weißer?«
»Ja, schon.«
Samir lachte wieder, aber man hörte, dass es ein gezwungenes Lachen war. »Pass mal gut auf, mein Junge. Ein ganz normaler Tunesier würde sehr viel lieber einen weißen Jungen ummachen als einen seiner Landsleute.«
»Vermutlich. Aber hören Sie, ich bitte um Verzeihung für alle Probleme, die meine Rasse verursacht hat. Die Regenwälder und so, Sie wissen schon.«
»Nun, da du dich entschuldigt hast, lasse ich dich vielleicht am Leben.«
»Na wunderbar.«
»Gern geschehen. Aber jetzt raus mit dir. Gönn den beiden ein paar Minuten.«
Sie setzten sich auf eine Mauer mit einer flachen Krone, die einen Ziegenpferch umschloss.
Samir Asaad zündete sich eine stechend riechende Zigarette an.
»Hier rauchen alle«, sagte Benny.
Der Tunesier nickte. »Die sind billig. Opium für das Volk.«
»Was?«
»Gibt uns was, auf das wir uns freuen können.«
»Auf die nächste Kippe?«
»Besser als nichts. Sei’s drum. Und du hältst die Klappe. Ich habe noch nicht entschieden, was ich mit dir mache.«
Samir zog an seiner Zigarette. Nach einer Minute strich er die Glut ab und verstaute den Stumpen hinter seinem Ohr.
»Also?«, fragte er.
»Also, was?«, entgegnete Benny und versuchte, Zeit zu gewinnen.
»Komm mir nicht so. Was tust du hier?«
»Ich bin mit … mit dem anderen Jungen gekommen.«
»Mit Omar. Sag es ruhig. Ich weiß alles über ihn.«
»Ja … ich bin mit Omar gekommen.«
»Und warum hängt ein reicher weißer Junge mit einem tunesischen Waisenkind rum?«
»Ich bin nicht reich!«, wandte Benny ein.
»Verglichen mit wem?«
Benny dachte daran, was er gerade erlebt hatte, und schwieg.
»Und wie habt ihr euch kennen gelernt?«
»Wir sind nicht verheiratet, ja!« Benny hatte durchaus noch einen Funken Widerstandsgeist im Leib.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Samir und klopfte auf seine Taschen. »Ich habe mein Messer hier irgendwo.«
»Omar lebt in einer Hütte außerhalb von Marhaba.«
» Walahi! Da ist er also!«
»Wir sind die letzten zwei Monate miteinander herumgezogen.«
»Und wie verständigt ihr euch?«
»Er schaut viel fern. Wir kommen klar.«
»Und, mein lieber Benny, wissen deine Eltern eigentlich, dass du dich in Sfax herumtreibst?«
Benny drückte seinen Wirbel platt. »Natürlich wissen sie das.«
»Sicher«, grunzte der Direktor. »Vielleicht sollte ich einfach mal bei EuroGas anrufen. Und ihnen erzählen, dass ich einen irischen Knaben
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