Benny und Omar
Fenster nicht und bog an der Hausecke ab auf die rückwärtige Seite.
»Plan B«, grinste er. »B und E.«
Da hätte Benny noch einen Rückzieher machen können. Er hätte noch sagen können: Stop, mein Junge, wir brechen hier in eine Schule ein. Das könnte uns in ein afrikanisches Gefängnis ohne fließendes Wasser bringen. Aber er war weit weg von Zuhause und Omar würde auf jeden Fall hineingehen.
Das Fenster befand sich in Kopfhöhe und war mit rostigen Gitterstäben vergittert.
Omar blinzelte ihm zu. »Shuf.«
Benny machte große Augen. Die Stäbe ließen sich aus dem getrockneten Lehm herausziehen wie Gummistiefel aus Matsch.
»Du warst schon mal hier«, bemerkte er.
»Uskut!«
»Selber uskut. Uns können nur die Pferde hören.«
Omar faltete die Hände. »Feesa Sahbee.«
»Ich mach ja schon.«
Benny war sehr geübt im Umgang mit der Räuberleiter. Die altehrwürdige Tradition des Apfelklauens erfordert eine gewisse Fertigkeit im Überwinden von Einfriedungen aller Art. Das Geheimnis der Räuberleiter bestand im Zusammenspiel der Beteiligten. Man musste gleichzeitig ziehen und geschoben werden. Sonst war derjenige, der oben stand, nur sehr schwer für denjenigen, der unten die Räuberleiter machte.
Benny bekam den Fenstersims zu fassen und zog. Omar schob. Perfekt. Neun Komma neun Punkte für den Start. Null für die Landung. Er stieß sich den Kopf an dem Fenstersturz aus Beton und fiel wie ein Müllsack in das Gebäude hinein. Er lag auf einem Bett oder so etwas Ähnlichem und starrte in die Schwärze. Dann fiel ihm der Himmel auf den Kopf.
Viele üble Verteidiger hatten sich schon auf Benny gestürzt, aber so etwas hatte er noch nie erlebt. Was immer es war, es wickelte sich um ihn wie ein haariges Federbett. Benny spürte, wie eine Zunge von der Größe einer Schuhsohle sein Kinn entlangschrammte. Er schrie und stieß um sich, aber der Angreifer dämpfte Stöße und Schreie allein durch seine Masse. Omar mischte auch mit und zwängte ein knochiges Bein zwischen Benny und den geheimnisvollen Angreifer.
» Ya , Wali! Ismee , Omar!«
Wali! Der Name rief bei Benny Erinnerungen an etwas Großes, Wolliges wach. Das Kind im Körper eines Riesen ließ Benny fallen wie eine Ratte in einem Sack.
»Omar!«, brüllte er. »Omar, Omar!«, und trug ihn zwischen zwei Reihen von Betten davon. Die beiden boten einen lustigen Anblick. Sie sahen aus wie ein merkwürdiges exotisches Tier mit zwei zusätzlichen Beinen, die aus dem Bauch herausragten.
Benny folgte dem dunklen Schatten durch das Gebäude. Es stank ein bisschen. Nach Babys und alten Schränken. In den Betten lagen Menschen. Nach den Umrissen zu schließen waren es Kinder. Die meisten gaben Schlafgeräusche von sich, aber einige folgten ihm mit dunklen Augen. Benny bekam es wirklich mit der Angst zu tun. Keine Menschenseele wusste, wo er war. Er könnte hier umkommen und sie würden ihn nicht finden.
»Omar«, sagte er und nahm einen weinerlichen Ton in seiner Stimme wahr. Er hörte sich an wie Georgie. Noch einmal um die Ecke, dann hatte er sie eingeholt. Als ob das so toll wäre. Klang eher danach, als würde man dem Hurrikan hinterherjagen, der einem das Haus fortblies.
Seine Augen erkannten Einzelheiten in dem grauen Dunkel. Aber was er sah, erschreckte ihn nur noch mehr. In die Wände waren Ringe eingelassen, durch die Ketten liefen. Unter den Betten ragten metallene Bettpfannen hervor. Insekten mit schweren Körpern huschten über den Boden. Das Geräusch ihrer kräftigen Beine auf dem Beton grub sich wie mit Eishacken in Bennys Gehirn ein.
Er holte Dick und Doof ein. Sie kauerten am Kopfende des letzten Betts. Omar sah ängstlich aus. Seine Augen waren weit aufgerissen und er blickte wild um sich.
»Kaheena«, wisperte er.
Im Bett lag ein Mädchen und schlief. Benny schlich auf Zehenspitzen um Wali herum, um einen Blick auf sie zu erhaschen.
Das also war die berühmte kleine Schwester. Sie war ein hübsches kleines Ding. Vielleicht acht oder neun mit welligem schwarzen Haar, das ihr wahrscheinlich weit den Rücken hinabfiel, wenn sie aufstand. Ihre Finger klammerten sich an ein aus Stricken selbst gebasteltes Kamel. Als die Wirkung des Bilds ›schlafendes Kind im Mondenschein‹ nachließ, bemerkte Benny die Einzelheiten. Kaheena sah aus, als sei sie fast verhungert. Die Wangenknochen stachen durch die olivfarbene Haut. Ihr Mund war durch eine Infektion voller verschorfter Bläschen und Schrunden. Das Bett war alt und verrostet.
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