Benny und Omar
vorbei, schob er sich einen dampfenden Fleischbrocken in den aufgerissenen Rachen. Benny folgte seinem Beispiel. So musste man essen. Schmatzend und grunzend. Ohne Besteck oder so, das hinderte einen nur am schnellen Essen. Man schaufelte einfach das, was man wollte, aus dem heißen Brei und stopfte es in den Mund.
Das Brot war traumhaft. Auch in Sauce getunkt war es noch knusprig. Benny vergaß, dass er Zwiebeln nicht mochte. Er vergaß, dass er zu Hause die verschiedenen Speisen streng voneinander trennte. Und er vergaß auch, dass er das Wasser hier nicht trinken sollte. Aber daran würde er später vielleicht noch erinnert werden. Die ganze Aktion dauerte nicht einmal zehn Minuten. Benny sah Omar mit nach oben gerecktem Daumen an. Er war noch nicht ganz in der Lage zu sprechen, aber er besann sich auf seine gute Erziehung und wartete mit einem weithin schallenden Rülpser auf. Omar schnaubte verächtlich und ließ einen los, mit dem er mehrere Ballone hätte aufblasen können. Benny applaudierte freundlich; man musste es akzeptieren, wenn man deklassiert wurde.
Sie ließen sich nach hinten auf den staubigen Boden fallen und sahen zu, wie die Nacht hereinbrach. Die Sterne wurden immer selbstbewusster und funkelten zwischen den letzten blauen Streifen. Benny überkamen romantische Gefühle.
»Siehst du den kleinen Stern da?«, flüsterte er. »Ich wünschte, ich könnte mit meinem Auto hinfahren.«
»Vorsprung durch Technik«, rülpste Omar.
Sie lagen eine Ewigkeit da, starrten in den Himmel und lauschten den nächtlichen Geräuschen Afrikas. Die streunenden Hunde heulten wie toll. Sogar die Autohupen von Tyna waren zu hören. Sie breiteten sich wie die Schreie wilder Tiere über die Wüste aus. Das ist das Leben, dachte Benny. Ein halbwegs guter Abend wie dieser wiegt eine Menge auf.
Omar weckte ihn mit einem Rippenstoß. » Ya , Benny«, sagte er und streckte ihm ein gerahmtes Bild hin. Benny schaute es an. Es war ein Gruppenbild. »Die Waltons«, fügte Omar hinzu.
Benny schaute genauer hin. Endlich einmal etwas von der geheimnisvollen Familie. Sie waren zu viert auf dem Bild, sehr offiziell aufgestellt vor einem dieser gesprenkelten Hintergründe, die sich in jedem Atelier finden.
»Das bist du, Omar. Hab dich fast nicht erkannt ohne den ganzen Dreck.«
Omar zeigte mit einem schmutzigen Finger auf das Bild. »Homer … Bouya.«
»Das ist dein Dad. Er ist ein stattlicher Mann … Rambo.«
»Nam. Shuf Ummee.«
»Was?«
»Äh … Marge.«
»Also das ist deine Ma.«
»Nam sahbee. Shuf Ukht« , seufzte Omar. »Kaheena.«
»Das ist deine Schwester … Ukht? «
» Nam. Kaheena.«
»Kaheena?«
»Nam.«
»Meine Güte ist die winzig. Was ist mit ihr?«
»Störung.«
»Ähm … Omar. Kaheena Chicago Hope?«
»Nam.«
»Ist die Verstopfung noch so groß, Darmol löst das Problem famos.«
» La. Ist die Verstopfung noch so groß, Darmol löst das Problem famos.« Er schlug sich gegen die Stirn. » Mokh. Mushkela. Etwas weniger Schmerz auf dieser Welt.« Omar verdrehte die Augen und ließ die Zunge aus dem Mund hängen. Benny hätte fast gelacht, merkte aber noch schnell genug, dass die Grimassen seines Freundes nicht lustig gemeint waren.
Omar nahm das Bild wieder an sich und streichelte das Glas. Ein paar dicke Tränen liefen ihm die Nase hinunter. »Kaheena«, hauchte er und die Worte drangen fast nicht durch seine Traurigkeit hindurch. »Kaheena, Kaheena.«
Das wurde Benny ein wenig zu ernst. Sie sollten hier zusammen sein wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn: zwei Jungen, die Blödsinn machten und gelegentlich Unfug trieben. Weibliche Gefühle gehörten nicht hierher.
»Alles in Ordnung, Omar? Äh … Sh’nawalek. «
Omar schniefte. »Al-hamdu li’llah« , rezitierte er automatisch.
Aber es ging ihm keineswegs gut. Nicht wirklich. Benny war in solchen Situationen immer auf verlorenem Posten. Weinende Menschen brachten ihn aus dem Konzept. Sie gaben ihm das Gefühl, er habe Schuld an ihrem Leid. Er legte den Arm um die Schulter des kleinen Kerls.
»Omar, Binny. Bee Gees!«
Omar nickte schwach. » Nam. Bee Gees.«
Aber nicht einmal die sensationelle Gewissheit, dass er einen europäischen Freund hatte, riss ihn aus seiner Trübsal. Das hier waren echte Trauer und echter Schmerz. So etwas hatte Benny noch nie erlebt. Es veränderte seinen Freund vollkommen. Es erstickte das Licht in seinen Augen, beugte seine Schultern und verkrampfte seine Muskeln. Wie sollte man mit so etwas fertig
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