Benny und Omar
auf die Mauerkrone hinauf.
»Komm«, sagte er und streckte eine Hand nach unten aus. »Gib mir die Kleine! Feesa! «
Omar befeite sich bereits von der selbst gemachten Kindertrage. »Peter Schmeichel!«, rief er.
Oh nein! Nicht werfen! Omar warf das zappelnde Paket nach oben, das heißt, eigentlich stemmte er es. Schließlich war das Mädchen neun Jahre alt. Benny bekam die verknoteten Ärmel zu fassen. Das Gewicht zog ihn fast die Mauer hinunter. Eine Horde blauer Overalls fiel mit Gebrüll auf das Baugelände ein. Wenn Mohamed und seine Helfer ihn erwischten, bräuchte man Betäubungsgewehre, um sie wieder von ihm abzubringen. Daran hatte Benny keinen Zweifel.
Er lehnte sich zurück, um Kaheenas Gewicht mit seinem eigenen Gewicht auszugleichen. Sie hing einfach da, ein große schwere Last. Als versuchte er, einen Sack Kartoffeln mit einer Hand hochzuheben.
»Halten Sie durch, Madam«, sagte Omar. »Hilfe naht.«
Benny wusste, dass Omar es nicht über die Mauer schaffen würde. Seine Beine waren zu kurz. Sie waren erledigt – wenn der Tunesier Grace nicht innerhalb einer halben Sekunde erklärte, wie eine Räuberleiter funktioniert. Aber Omar hatte eine bessere Idee.
So sanft wie möglich drückte er das schottische Mädchen neben der Mauer auf alle viere. Dann stieg er auf ihren Rücken und kletterte über die Mauer. Ein echter Gentleman!
Omar packte Kaheena, kurz bevor Bennys Finger abrutschten. Sie zerrten sie auf die Mauerkrone und legten sie wie eine Rinderhälfte darüber. Unten wurde es langsam brenzlig. Mohamed hatte Grace abgefangen, bevor sie zu ihnen hoch gelangen konnte. Sie schrie und schlug um sich, aber ihre Hände prallten von seiner Brust ab. Samir rief den Wachleuten etwas auf arabisch zu. Sein Gesicht war rot vor Zorn. Gamas Leute hopsten an der Mauer hinauf, aber lange Monate heimlicher Nickerchen und billiger Zigaretten forderten nun ihren Tribut. Sie prallten von der Mauer ab wie Fliegen von einer Windschutzscheibe. Mohamed übergab Grace an Samir. Er wollte es persönlich versuchen.
»Walahi« , keuchte Omar.
Er ließ sich in die Welt draußen fallen. Benny ließ Kaheena nach unten und stützte sich gegen den plötzlichen Zug ab. Aber wie sicher kann man sich auf einer Mauer abstützen? Die beiden fielen zusammen hinunter und nicht einmal ein Truthahn dämpfte den Aufprall. Zum Glück fielen sie nicht auf herumliegende Steine, sondern in ein weiches Sandbett. Omar hatte sich Kaheena wieder um den Hals gehängt, bevor Benny überhaupt aufstehen konnte. Er griff in einen stachligen Busch und zog das Moped hervor.
»Inshalla« , betete er und schwang ein Bein über den Block aus Velour und Hartschaumstoff, der den Sitz darstellen sollte.
Gama mühte sich stöhnend über die Mauer. Seine Ellbogen und die Hälfte seines Kopfes waren schon oben. Es war keine fröhliche Hälfte. Das Moped sprang sofort an.
»Al-hamdu li’llah!« , jubelte Omar und ließ den Motor ein paarmal laut aufheulen.
»Binny!«, rief er. »Feesa!«
»Emshee« , hustete Benny. »Fahr zu, los!«
Omar drehte mit gezogener Kupplung das Gas auf. Das Moped wirkte wie ein Hund, der an der Leine zerrt.
» Mafi fahren!«, sagte er und deutete mit dem Kopf zur Mauer. »Shuf.«
Benny sah sich um. Mohamed schwang gerade sein zweites Bein über die Mauer. Seinen monströsen Stiefeln sah man an, dass sie ernsthaften Schaden anrichten konnten. Die untere Kopfhälfte des Wachmanns sah genauso wütend aus wie die obere. Wobei »wütend« seinen Zustand nicht einmal annähernd beschrieb. Er brüllte und tobte und würde in wenigen Augenblicken mit seinen Händen Bennys dünnen Nacken packen.
»Benny Shaw!«, schrie er.
Und damit war die Sache für Benny klar. Gama kannte seinen Namen und wusste, wo er wohnte. Zeit für einen Abgang. Verhandeln konnte er später. Er sprang auf das Moped. Omar ließ in dem Augenblick die Kupplung los, als das Hinterteil seines Freundes den Sitz berührte. Sie rasten durch die Wüste davon und zogen eine meterhohe Staubwolke hinter sich her.
Irgendwie hörte Benny durch den ganzen Lärm hindurch, wie Grace weinte. Jetzt kannst du dich auf etwas gefasst machen, sagte die Maske. Und sie hatte Recht. So tief hatte er noch nie im Leben in der Tinte gesteckt. Es war so schlimm, dass er nicht einmal wusste, worin eigentlich sein größtes Vergehen bestand.
Kaheena starrte ihn über die Schulter ihres Bruders hinweg an. Ihre Augen waren weder glücklich noch traurig. Sie waren einfach offen. Aber
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