Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Mitgliedschaft in der Vereinigung und einigen weiteren Faktoren engte sie die Liste auf fünfzehn mögliche Kandidaten ein.
Die Frage nach dem Patienten Null war wirklich nicht so leicht zu lösen.
Sah es in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg so ähnlich aus – alle Akten ein Chaos, einige Leute, die ihre Identität unbedingt wiederherstellen wollten, andere, die genauso verzweifelt versuchten, ihre auszulöschen? Vermutlich, dachte Janie. Vieles von dem, was während MR SAMS Aufstieg an die Macht vorging, blieb undokumentiert – weil die Leute viel zu sehr damit beschäftigt waren, am Leben zu bleiben, um sich über die Registrierung dessen Sorgen zu machen, wer was mit wem angestellt hatte und aus welchem Grund. Viele Menschen waren einfach in dem verschwunden, was inzwischen scherzhaft als Schwarzes Loch der Ausbrüche bezeichnet wurde. Janie argwöhnte, daß dieses Schwarze Loch in Wirklichkeit ein ganz normales Leben unter einer ausgetauschten Identität bedeutete – das Leben von Leuten, die vor dem ganzen Horror zu den Randgruppen gehört hatten, den Marginalen, die ihre eigene Zukunft so weit verbaut hatten, daß sie in keiner Weise mehr dem amerikanischen Traum entsprachen. Welche idealere Möglichkeit gab es, noch einmal von vorn anzufangen, als unter der alten Identität zu sterben und als unbescholtener normaler Bürger wieder aufzuerstehen? Das würde sich niemals rekonstruieren lassen.
Schulen? Krankenhäuser? Wohltätigkeitseinrichtungen? Alle hatten wahrscheinlich Unterlagen, beklagenswert unvollständig, und vieles von dem war sicherlich auf Big Dattie übertragen worden; doch alle diese Informationen standen zweifellos unter dem Schutz der Gesetze über die Privatsphäre.
Das galt allerdings auch für legitimierte Forscher.
Wir haben das schon einmal gemacht.
Doch das hatte sich als tödlich erwiesen; die tragischen Konsequenzen würden ihr für den Rest ihres Lebens Schuldgefühle verursachen, was auch für Michael und Caroline galt. Janie konnte sie nicht nochmals um Hilfe bitten.
Aber Sandhaus einzuschalten war eine andere Sache. Er hatte zwar gegen die ganze Computerei seine Vorbehalte, doch irgendwo in seiner akademischen Trickkiste der forensischen Kriminologie gab es sicher einen erlesenen Hacker – vermutlich den einen einzigen Hacker, der noch nicht im Gefängnis saß.
Sie wurde nicht enttäuscht. »Ja, ich kenne jemanden«, bestätigte er, »aber der ist ein gieriges Miststück. Und irgendwie unheimlich.«
»Wieviel?«
»Zehntausend Credits, schätze ich.«
Ehe sie antwortete, schluckte sie. »Das ist ziemlich happig.«
John Sandhaus zuckte mit den Schultern. »Billiger als ein Auto.«
»Ich will kein Auto kaufen, sondern nur Zugang zu gewissen Informationen.«
»Dann finden Sie jemand Betuchten, der einspringt.«
Zögern. Kannte er jemanden? Er schien überall seine Verbindungen zu haben. »Ich kann ja niemanden fragen, bevor ich sicher weiß, wie hoch die genauen Kosten sein werden.«
»Also vorausgesetzt, Sie kriegen das Geld, müssen Sie es folgendermaßen angehen …«
Es war, als kehre sie an den Schauplatz eines Alptraums zurück, den sie innerlich immer wieder durchgespielt hatte und der sie sehr unglücklich machte. Aber da, an einem Ende der Theke aus Chrom und Holz in einer entmutigend ähnlichen Computerbar, saß ein Mann, und das mußte derjenige sein, den zu kontaktieren John Sandhaus ihr geraten hatte. Sie erkannte ihn an dem auf seinen Unterarm tätowierten Cursor.
Wie irgendein Vamp in einem schlechten Film starrte Janie durch den überfüllten Raum auf den »Gentleman«, der alles andere als das zu sein schien, und schenkte ihm ein einladendes Lächeln. Er musterte sie kühl amüsiert von oben bis unten, als sie auf ihn zuging – Trotz seiner pockennarbigen Haut und vielen Falten, besaß er eine bemerkenswert trainierte Figur. Sein Haar war ölig und in glatten Wellen zurückgekämmt. Sie erwartete fast, eine selbstgerollte Zigarette hinter seinem Ohr zu erblicken, denn er roch schwach nach Tabak. Das fast leere Glas in seiner rechten Hand, von dem sie annahm, es enthalte Scotch, erklärte den anderen Geruch. Die Gesamtwirkung seiner Erscheinung verriet, daß er sich bemühte, cool zu altern.
Jetzt mußte sie ebenfalls das coole Girl herauskehren, was sie ziemlich ärgerlich fand. »Hi«, sagte sie und deutete auf den Barhocker neben seinem. »Ist da noch frei?«
Lässig winkte er ihr zu.
Als sie auf den gepolsterten Ledersitz glitt, dachte Janie
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