Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
ist.«
Alejandros Herz pochte. Der Junge hatte Wort gehalten! »Ich vermute, das bedeutet unverzüglich zu erscheinen.«
»Ganz recht!« De Chauliac nickte. Er hob das Kinn und sah an seiner langen Nase hinunter. »Wirklich, Kollege, man könnte meinen, daß es zwischen Euch und diesem jungen Mann eine Verschwörung gab. Obwohl ich annehme, daß ich die Ausübung der Medizin mit Euch gemeinsam genießen werde, bin ich doch nicht ganz glücklich darüber, daß Ihr Euch draußen zeigt.«
Nur mit größter Anstrengung brachte Alejandro ein Lächeln zustande. »Soll ich mich trotzdem auf diesen Besuch vorbereiten?«
»Ja, ich denke schon. Ich werde Euch einen angemessenen Umhang und einen Hut leihen.«
»Es wäre auch sehr hilfreich, wenn ich meine Tasche haben könnte.«
»Nein«, lehnte de Chauliac sofort ab. »Ganz gewiß nicht.«
»Es wäre Eurem Ruf abträglich, einen Kollegen mitzubringen, dem es an den nötigen Geräten mangelt.«
Wieder gewann Chauliacs Stolz die Oberhand. »Meinetwegen«, knurrte er. »Ihr sollt sie haben. Aber nicht Euer Messer.«
Sie ritten schneller durch die Pariser Straßen, als es sich angesichts der zahlreichen Fußgänger, denen sie begegneten, empfahl. Alejandro war auf beiden Seiten von seinen üblichen Bewachern flankiert, die kurze Schwerter in schnell zugänglichen Scheiden trugen. Aber er machte das Beste aus dieser Partie, indem er alles in sich aufnahm, was er sah und hörte – zu lange hatte er auf die Innenwände von de Chauliacs Haus gestarrt, und so schön dieses auch war: er hatte sich daran satt gesehen. Erst als er wieder davon umgeben war, merkte er, wie sehr seine Augen nach einem Blick auf das wirkliche Leben gehungert hatten.
Vor dem Aufbruch hatte de Chauliac seine Leute angewiesen, Alejandro zu zeigen, wie scharf ihre Schwerter waren und wie schnell sie sie zu ziehen vermochten. »Damit Ihr Euch jeden Gedanken an Flucht aus dem Kopf schlagt«, lautete der strenge Bescheid des Franzosen. Aber Alejandro ließ sich von seiner Warnung nicht ins Bockshorn jagen. Auf diesem Ritt wollte er noch gar nicht fliehen, weil er sicher war, daß sich bestimmt eine günstigere Gelegenheit ergäbe, wenn dieser Ausflug gut verlief. De Chauliacs Wachsamkeit würde erst allmählich nachlassen, und dann käme seine Chance. Heute würde sie sich nicht bieten, das stand fest.
Es war ihm ein großer Trost, wieder auf einem Pferd zu sitzen, obwohl er den vertrauten breiten Rücken seines eigenen Reittiers vermißte. Dieses war kleiner und hatte einen langsameren und gemächlicheren Gang, ganz anders als das nervöse Tänzeln seines Hengstes. Er konnte nicht vorhersagen, wie dieses Pferd reagieren würde, wenn er ihm die Fersen in die Flanken drückte und die Zügel straffte, um es zu beschleunigen. Doch es beruhigte ihn, seine Tasche bei sich zu haben, die man hinter seinen Sattel geschnallt hatte. Während sie dahinritten, spürte er ihren Druck im Kreuz, wie seit fast einem Jahrzehnt auf seinen Reisen.
Was er bei diesem Ritt am schmerzlichsten vermißte, war die Gesellschaft des Kindes, inzwischen zur Frau geworden, die so innig zu ihm gehörte.
Der Dauphin, der eines Tages auf dem französischen Thron sitzen würde, wenn alles nach dem Plan seines Vaters, des Königs Johann, verlief, bewohnte eine noch prachtvollere Residenz als diejenige von de Chauliac. Doch als sie eintraten, fühlte sich Alejandro sofort an Windsor Castle erinnert, und zwar durch die Möbel, die wiederum schlichter waren als die im Hause de Chauliac. Vielleicht, so überlegte er, hatte man dem Prinzen Lionel zu seiner Bequemlichkeit seine eigenen Möbel gesandt; denn eine königliche Geisel hielt man am besten bei Laune, indem man sie mit ihren vertrauten Habseligkeiten umgab.
Geoffrey Chaucer führte sie in das Schlafgemach, einen großen Raum mit hohen Fenstern und üppiger Ausstattung. Ein massives Bett mit hohen Pfosten und einem schweren Baldachin stand an einer Wand; zu beiden Seiten hingen farbige Tapisserien, die diesen oder jenen Heiligen bei dem einen oder anderen betreffenden Wunder darstellten. Auf diesem Bett lag unter zahlreichen Pelzdecken Prinz Lionel, der sichtlich litt. Er stöhnte, als er sich zu ihnen umwandte.
An seiner Seite befand sich Gräfin Elizabeth von Ulster, seine Gattin. Die überraschend junge Frau machte ein besorgtes Gesicht und war ungewöhnlich blaß, selbst im Vergleich zu dem weißen Schleier, der von ihrem Kopfputz hing. Doch das ist die heutige Mode, erinnerte
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