Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Freude macht, warum nicht? Und außerdem habe nicht ich damit begonnen, sondern die Dame selbst!«
»Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie kompliziert diese Liaisons sind! Sie wird jeden Tag neue Beschwerden entdecken, die Ihr behandeln müßt. Oder ihren Gatten dazu überreden. Es wird eine unhaltbare Situation entstehen, die nicht mehr zu handhaben ist.«
»Das habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben, de Chauliac!«
»Nicht ich war derjenige, der sich Haare vom Kopf riß und an ihren Busen schickte.«
»Ihr dürft nicht vergessen, daß ich überhaupt nicht zu Prinz Lionel hätte gehen müssen, wenn Ihr Euch ausreichend um ihn gekümmert hättet.«
»Wollt Ihr meine Heilkunst anschwärzen? Dieser Lionel jammert unablässig. Wenn ich jedesmal bei den geringsten Beschwerden an seine Seite eilte, würde ich sein Haus nie mehr verlassen.«
Finster zog er die Brauen zusammen. »Und Ihr solltet nicht vergessen, wer Ihr seid!«
»Und wer bin ich?«
»Ein Jude. Ein unannehmbarer Bewunderer, selbst für eine Gräfin irischen Ursprungs.«
»Für sie bin ich Spanier. Und ein kundiger Arzt. Vielleicht wünscht die Dame, ständig einen Arzt im Hause zu haben?«
»Hmm«, brummte der Franzose. »Vielleicht … Aber sie wünscht nicht mich. Sie wünscht Euch. Und Ihr seid mein Gefangener.«
»Warum sagt Ihr ihr das nicht? Und entdeckt ihr auch, daß ich Jude bin? Mir ist alles recht.«
»Seid Ihr wahnsinnig? Das wäre Euer Untergang, und schlimmer noch – auch meiner!«
»Dann werdet Ihr mich begleiten müssen, wenn sie mich rufen läßt, denke ich, und meinen Geburtsfehler werdet Ihr besser für Euch behalten.«
Ihren lauten Streit unterbrach die Ankunft von Nicholas Flamel, der etwas früher eintraf als erwartet. Der rundliche Alchimist gab dem Diener seinen Umhang und stapfte auf seinen kurzen Beinen eilig in den Salon. So setzte er allem ein Ende, was sonst noch zum Thema einer unangebrachten Liaison hätte geäußert werden mögen.
»Guten Abend«, keuchte er, während er sich verneigte. »Ich fühle mich geehrt, wieder in so gelehrte Gesellschaft geladen zu sein.«
De Chauliac schluckte seinen Ärger hinunter und bot Flamel einen Stuhl an. »Nein«, wehrte er außerdem ab, »die Ehre ist ganz auf unserer Seite. Habe ich nicht recht, Kollege?«
Er wird seine fetten Pratzen auf mein kostbares Manuskript legen, dachte Alejandro unglücklich. Verbissen zwang er sich zu einem Lächeln und sagte nichts. Flamel würde von ihm erst einen Ausdruck der Bewunderung hören, wenn er sicher war, daß der Mann keine Bedrohung für den wertvollen Nachlaß Abrahams darstellte.
»Nun«, leitete Flamel ein und rieb sich die dicken Hände, »sollen wir mit der Arbeit beginnen?«
»Laßt Euch Zeit, Flamel«, hielt de Chauliac ihn zurück. »Ihr seid doch gerade erst gekommen.«
»Kollege, seht dem Manne seinen Eifer nach«, beschwichtigte Alejandro. »Solche Arbeit ist sehr aufregend.«
»In der Tat!« japste Flamel.
»Wenn die Herren also gestatten«, sagte der Jude, »werde ich nach oben gehen und die Handschrift holen.« Er stand auf und strich seine Kleidung glatt. »Sehr gerne würde ich mich auch etwas erfrischen. Es kann daher einige Minuten dauern, bis ich wiederkomme. Ist Euch das recht?«
»Seht zu, daß Ihr nicht zu lange ausbleibt«, herrschte de Chauliac ihn an, und als Flamel bei seinem groben Ton überrascht aufblickte, fügte er freundlicher hinzu: »Denn wir sollten Monsieur Flamel heute abend nicht länger als nötig von seiner armen, sehnsüchtigen Gattin fernhalten.«
»Ich werde eilen.«
Alejandro verließ den Salon, und die Wachen folgten ihm. Flamel sah zu, wie sie verschwanden und wandte sich verwirrt an de Chauliac: »Wieso braucht er immer eine Eskorte?«
Die schlichte Frage traf de Chauliac unvorbereitet. Er räusperte sich nervös, während er sich eine passende Antwort aus den Fingern sog. »Er leidet an Fallsucht«, flüsterte er. »Ich wage nicht, ihn allein zu lassen, sonst könnte er stürzen oder sonstwie Schaden nehmen.«
Karle und Marcel mühten sich bis lange nach Sonnenuntergang mit dem Brief an Charles von Navarra ab. Punkt für Punkt führten sie an, warum sie glaubten, daß es am besten wäre, die Schlacht bei Arlennes zu planen. Dann zählten sie die Gründe auf, warum Conpiègne ein schlechter Ort für die Zusammenziehung der Rebellentruppen wäre: kein Wasser, schlechte Versorgungswege, keine Fluchtmöglichkeiten, die Gefahr, von den Kräften des Dauphins eingekesselt zu werden.
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