Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Bitte, Janie, haben Sie Geduld – Sie bekommen bald Klarheit. Und ich muß Ihnen auch sagen – jetzt ist der richtige Moment für Wachsamkeit.«
Jetzt schien auch der richtige Moment für Alleinsein, wenigstens vorübergehend. »Ich denke, ich werde einen Spaziergang machen«, sagte Janie, als sie wieder klar denken konnte. »Dann haben Sie Gelegenheit, hinzufahren – wo immer Sie hinfahren müssen. Und unterwegs möchte ich mich um ein paar Dinge kümmern. Ich meine, ich habe auch noch anderes zu tun.«
Was genau tat sie eigentlich? Halbherzig auf Bruce warten – Herz und Seele, die sie sonst ihm gewidmet hätte, für ein Projekt einzusetzen, das von einer nur als »wir« identifizierten geheimen Gruppe angeschoben wurde? – Und gefährlich mit ihrem Anwalt flirten?
Und außerdem, rief sie sich in Erinnerung, einer jungen Frau antworten und gehorchen, die weniger als halb so alt war wie sie, und das in Dingen von größter Wichtigkeit.
Es war Zeit, damit allmählich aufzuhören.
Sie fand Chet Malin in seinem Büro. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt. »Ich kündige«, sagte sie.
Mit untypischer Ruhe antwortete der Affenmensch: »Wenn Sie mich so hängen lassen, können Sie Gift darauf nehmen, daß Sie nie wieder in der genetischen Forschungsindustrie arbeiten werden.«
Beim Stand der Dinge war das eine absolut absurde Drohung.
»Chet, nach dem, was da draußen passiert, wird die genetische Forschungsindustrie in ein paar Tagen einen kleinen Zwangsurlaub antreten. Zusammen mit so ungefähr jeder anderen Industrie, bis auf das Bestattungsgewerbe.«
Als Kristina an diesem Abend Toms Haus betrat, hatte Janie ihr schon verziehen.
»Die Spur des Patents löst sich in beiden Richtungen auf«, berichtete Kristina, als sie vor V. M. saßen. »Rückwärts verschwindet sie. Vorwärts verliere ich sie in dem Durcheinander der Ausbrüche.« Mit frustrierter Miene wickelte sie ein Pfefferminzbonbon aus und schob es sich in den Mund. Sie knüllte das Papier zusammen und warf es in Richtung Papierkorb. Es prallte vom Rand ab, landete auf dem Boden, und Janie, immer ordentlich, bückte sich, um es aufzuheben.
»Vergessen wir einstweilen das, was die Konzerne anbelangt und machen weiter«, sagte Janie. »Wir müssen noch andere Dinge überprüfen.«
Kristina lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und starrte sie an.
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel Individuen. Genetische Patente müssen nicht unbedingt Konzernen gehören, obwohl es bei den meisten so ist. Vielleicht ist der Inhaber dieses Patents eine Einzelperson oder eine kleine Gruppe, die Unterstützung genießt.« Janie warf das zerknitterte Bonbonpapier in den Papierkorb. »Ich denke, wir sollten zu unseren Orthopäden zurückkehren.«
»Beim ersten Mal habe ich da nichts gefunden.«
Erwarte das Unerwartete, hatte Alejandro geschrieben. »Vielleicht suchen wir nicht auf die richtige Weise. Schauen Sie sich an, was wir heute gefunden haben – und denken Sie daran, wo. Wenn man bei festgefahrenen Methoden bleibt, funktioniert es nicht. Also suchen wir noch einmal, aber anders.«
Nach einer weiteren Stunde fruchtloser Computerarbeit klagte Kristina über Kopfschmerzen.
»Gehen Sie nach Hause«, riet Mutter Janie. »Soll ich Sie fahren?«
Warum hatte sie nicht den Mut, einfach zu fragen, wo Kristina wohnte? Jedesmal, wenn Janie sie rief, erschien Kristina prompt – also mußte sie ganz in der Nähe leben.
Wo genau jedoch, blieb ein Geheimnis.
Und wie kommt es, fragte Janie sich weiter, daß sie weiß, wann sie zu mir kommen muß, auch wenn ich mich gar nicht bei ihr melde?
»Nein. Das kann ich selbst. Wirklich.«
Janie wurde allmählich paranoid und dachte sich wilde Möglichkeiten und phantastische Szenarios dafür aus, warum Kristina immer so pünktlich zur Stelle war. Während sie zusah, wie Kristina ihre Sachen einsammelte, dachte Janie an einen mikroskopisch kleinen Sender, oder an Radiowellen, die man irgendwie in ihr Shampoo praktiziert hatte, oder auch an Abhörgeräte, die als Corn Flakes verkleidet waren. Reine Science Fiction, faszinierend, aber samt und sonders unsinnig. Es mußte etwas viel Raffinierteres sein.
Etwas stimmte nicht, das stand fest. Wenn alles vorbei war und nicht mehr hinter jeder Ecke eine Bedrohung lauerte, würde sie den Mut finden, danach zu fragen.
Auf dem Bildschirm vor ihr befand sich noch immer die Datei eines der Orthopäden; es handelte sich um eine Frau, und im Augenblick leuchtete gerade die Liste ihrer
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