Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
immer dunkelhaarigen Janie aufgeblickt und sie dann prompt mit Witz und Charme und unglaublicher Intelligenz beeindruckt. Janie fand den Neid erheiternd angesichts der Tatsache, daß die Kuratorin so grenzenlose Energie und Vitalität zu besitzen schien, die ihr selbst auch nicht annähernd zur Verfügung stand.
An diesem Tag begrüßte sie Janie in dem Empfangsbereich vor ihrem Büro mit einem kräftigen Händedruck. Als sie sie dann hineinführte, sagte sie: »Ich muß Ihnen gestehen, Dr. Crowe, es gibt selten so viele Geheimnisse um eine potentielle Stiftung. Gewöhnlich weiß ich, wegen welcher Dinge die Leute mit mir Kontakt aufnehmen. Aber Sie haben mich völlig verwirrt und, möchte ich hinzufügen, fasziniert.« Sie wies auf einen dick gepolsterten Sessel, in dem Janie Platz nahm.
Mit einem raschen Rundblick stellte die Besucherin fest, daß die Wände des Büros mit einer eindrucksvollen Sammlung von Diplomen und Auszeichnungen geschmückt waren, durchsetzt von Fotos der Dame selbst, die an der Seite einer erstaunlichen Vielfalt von prominenten Spendern posierte.
»Sie haben Barbra Streisand getroffen?« begann Janie ehrfürchtig.
»Mehrfach. Sie ist eine herausragende Mäzenin des Depository.«
»Wie wirkt sie?«
»Oh, in der Tat reizend«, schwärmte Myra. »Eine echte Dame! Im Gegensatz zu einigen anderen Spendern. ›Hier ist der Scheck, und nun verschwinden Sie‹ – so einen Ton haben manche an sich. Sie wollen eigentlich gar nichts mit uns zu tun haben. Aber Barbra war tatsächlich zur privaten Eröffnungsparty hier. Eine eindrucksvolle Persönlichkeit, das kann ich Ihnen sagen. Und sie ist immer noch eine schöne Frau. Wir sollten alle so gut aussehen.«
»Nicht in diesem Leben«, meinte Janie mit einem nachsichtigen Grinsen.
»Nun ja … jeder hat seine Bürde. Aber Sie, wenn ich das sagen darf, haben keinen Grund, sich zu beklagen. So, und nun erzählen Sie mir ein bißchen mehr über dieses Buch, das Sie da haben. Wie ich schon sagte, ich bin fasziniert!«
Janie holte tief Luft. »Ich glaube, es ist eigentlich eher ein Journal oder Tagebuch als ein Buch«, erläuterte sie. »Ein jüdischer Arzt muß damit im vierzehnten Jahrhundert begonnen haben. Dann wurde es an eine Reihe von Menschen weitergegeben, die es als das benutzten, was es war – in erster Linie ein Handbuch der Medizin, denke ich. Alle haben etwas hineingeschrieben, aber dieser jüdische Arzt initiierte das Ganze – auf fruchtbarste Weise.« Sie legte eine Pause ein. »Ehrlich gesagt, wäre ich sehr überrascht gewesen, wenn Sie vorher schon einmal etwas von diesem Journal gehört hätten. Es war nie in Umlauf, zumindest soweit ich im Bilde bin. Mehr als sechshundert Jahre lang befand es sich am gleichen Ort, einem kleinen Haus außerhalb von London. Ein bißchen von dem, was Sie als ›Geheimnis‹ bezeichnen könnten, ist mit seinem Weg in meine Hände verbunden. Deswegen war ich diesbezüglich nicht sehr mitteilsam.«
»Ich wünschte, Sie würden mir verraten, wie Sie daran geraten sind, Dr. Crowe. Selbstverständlich werde ich alles, was Sie mir mitteilen, streng vertraulich behandeln.«
»Ist mir klar«, murmelte Janie, »und ich glaube Ihnen auch. Aber es gibt einige – potentiell – illegale Dinge, könnte man wohl sagen, die damit zusammenhängen. Auf einmal erwiese es sich als fatal, wenn Sie davon wüßten … zumindest teilweise.« Sie rutschte unbehaglich in ihrem Sessel herum. »Aber inzwischen bin ich der Meinung, daß das Objekt an einen sichereren Ort gebracht werden sollte als dort, wo es sich jetzt befindet. Und nach einer solchen Aufbewahrung sehe ich mich im Moment um. Sie sind meine erste Station.«
Myra Ross warf Janie einen unerwartet strengen Blick zu, ungefähr so, als drohe sie ihr mit erhobenem Zeigefinger. »Sie müssen mir verraten, ob es gestohlen ist. Denn wenn das der Fall wäre, das verstehen Sie natürlich, können wir es niemals …«
»Nein. Ich habe es nicht gestohlen. Und vermutlich hat es auch niemand anders gestohlen. Wie ich schon sagte, sehr lange Zeit war es für die Welt verloren. Bis – nun, ich möchte nur anmerken, daß der letzte Besitzer des Buches tot ist – er kam bei dem Feuer um, das sein Haus zerstörte.«
Das war die Wahrheit, wenn auch etwas gedehnt. »Er hatte keine Erben. Als es passierte, habe ich das Buch gerettet. Sonst wäre es mit verbrannt. Ein unschätzbarer Verlust, glauben Sie mir!«
»Wenn es so ist, wie Sie sagen, dann nimmt es jetzt sicher
Weitere Kostenlose Bücher