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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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wieder beschmutzt, entdeckte Alejandro, noch ehe er ihn vom ersten Mal gesäubert hatte. Hastig legte er ihm denselben Verband wieder an und verfluchte dabei seine Unvorsichtigkeit; denn er hatte diesen Verband mit seinen Händen berührt, die noch von der Beerdigung besudelt waren.
    Doch das wird keine Rolle mehr spielen, wenn diese Reiter nicht weiterziehen, dachte er, und sein Herz klopfte heftig. Vielleicht werden sie die Hütte überhaupt nicht finden und ihren Weg fortsetzen, ohne sie zu bemerken. Er hatte sie wegen ihrer versteckten Lage gewählt, und sie war ihm sicherer vorgekommen als andere Möglichkeiten; da in den Kriegen und durch die Pest so viele Menschen umgekommen waren, gab es Hunderte von Hütten, die jetzt leerstanden. Aber Karle hatte ihn ziemlich mühelos gefunden, und obwohl er stets bedacht war, seine Spuren zu verwischen, mußte er doch einige hinterlassen haben. Verflucht sei alles, was geht, fliegt, schwimmt oder kriecht, dachte er niedergeschlagen. Warum habe ich keine bessere Wahl getroffen?
    Er begann, seinen wimmernden Patienten loszubinden, doch das Geräusch näher kommender Reiter schien jetzt bereits greifbar. Hastig zog er ein Messer aus seinem Stiefel und durchschnitt die Streifen, die er aus Kates Hemd gerissen hatte. Das Leinen schien in seiner Abwesenheit zu Eichenholz und sein Messer unerklärlich stumpf geworden zu sein. Der Kämpfer lag noch immer teilweise gebunden auf dem Tisch, doch er eilte ans Fenster. Er riß das Pergament ab, das die Öffnung bedeckte, legte die Hände um den Mund und stieß den Schrei des Falken aus, der er in diesem Moment gern gewesen wäre. Dann packte er den Metallring im Stroh, riß ihn hoch, und ein Blick bestätigte ihm, was er längst vermutet hatte – das Versteck bot Platz für zwei.
    Als mächtigerer Feind erwies sich indes die Zeit, nicht der Raum. Die Hufe klangen laut wie Donnerhall, und er konnte das Schnauben der schäumenden Pferde hören. Würde Gott beim letzten Gericht zustimmen, daß er die Pflicht hatte, sich selbst zu retten, nicht um seiner willen, sondern für Kate? Und für all diejenigen, deren Leid er vielleicht in der Spanne, die ihm noch blieb, lindern könnte?
    Aber es war nicht der Moment, sich diese Frage zu stellen. Verzweifelt flüsterte er: »Vergebt mir, Kamerad, ich bedaure es aus tiefster Seele … Ich flehe Euch an, uns nicht zu verraten. Um meiner Tochter willen. Gott sei mit Euch!« Dann schlüpfte er in das Erdloch zu seiner Satteltasche und legte sich hin. Er ließ die Bodendiele über sich fallen, mitsamt dem Stroh und allem. Und noch ehe seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, hörte er die Hufschläge vor der Hütte verstummen. Die Tür splitterte auf und männliches Schnarren auf französisch erklang. Seine Blase schien plötzlich zum Bersten voll, und er bat jeden Gott, der vielleicht zuhörte, um die Gnade, noch einmal Gelegenheit zu bekommen, sie stehend zu entleeren.

KAPITEL 4
    Auf dem Stuhl neben Abraham Prives’ Bett im Jameson Memorial Hospital saß eine Frau, die jeder leicht als Mutter des Jungen erkennen konnte, nicht nur an der Ähnlichkeit, sondern auch an ihrem vergrämten Gesichtsausdruck. Soeben wollte Janie an die offene Tür klopfen, hielt jedoch einen Moment inne, als sie erkannte, daß Mrs. Prives die Hand ihres Sohnes umklammerte und leise zu ihm sprach. Vielleicht störte sie …
    Vermutlich kann er alles hören, dachte Janie traurig, während sie in einiger Entfernung stehenblieb, obwohl sie das erst sicher wissen konnte nach der Untersuchung des Gehörs des Jungen. Bis dahin würde die Mutter warten – auf irgendein Zeichen, daß er sie wahrnahm, auf irgendeinen Hinweis, daß der Junge, den sie gekannt hatte, wieder zum Vorschein käme. Janie wußte, daß sie sich dabei in zahlloser Gesellschaft befand; denn irgendwo auf der Welt wartete immer eine Mutter darauf, daß ihr Kind von irgend etwas zurückkehrte.
    Vor demselben Krankenhaus hatte Jahre zuvor Janie selbst gestanden, vor einem hastig errichteten Zaun, einer grausamen Folge des Kriegsrechts, das weder sie noch sonst eine der Personen neben ihr in den Jahren vor dem Ausbruch von MR SAM je erlebt hatte. Während ihres ganzen Lebens hatte es innerhalb des Landes keine Kriege oder Aufstände gegeben, doch der Zaun als solcher wirkte wie eine feindliche Invasion. Die verhaßte Barriere hatte ihre schmutzige Arbeit getan und war inzwischen längst abgebaut worden; doch ihr Anblick blieb für immer in Janies

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