Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Straße und ging zur boulangerie, wo er eine lange, goldene, noch warme Stange Brot kaufte. Vom Verlassen seines Zimmers bis zur Rückkehr mit den Nahrungsmitteln sprach er kein Wort. Erneut setzte er sich ans Fenster und hielt Ausschau.
Kate war auf dem Ritt still und wortkarg, bis sie am nächsten Bach rasteten. »Was diese Frau erzählt hat – es beschämt mich zu wissen, daß solche Dinge passieren! Einem Menschen sein Hab und Gut zu stehlen ist ehrlos genug«, sagte sie, während das Wasser durch ihr Seidentuch lief, »aber ihm auch noch das Werkzeug für den Lebensunterhalt zu rauben, ist etwas ganz anderes. Das ist mit Sicherheit ein Verbrechen.«
»Sie haben diesen Landsleuten alles genommen«, knurrte er.
» Jacques Bonhomme, der brave Mann! Die größte Sünde dieser Unglücklichen ist ihre niedrige Geburt.«
»Wir sind alle in Sünde geboren«, sagte sie. »Aber Armut ist keine Sünde – es wird erst eine, wenn man nichts tut, sein Los zu verbessern.«
»Die Herren Frankreichs haben ihren Untertanen das unmöglich gemacht.«
»Wenn ich so behandelt würde, würde ich mich auch erheben«, grollte Kate, »oder ich könnte meinem Schöpfer nicht ins Angesicht sehen. Ich begreife nicht, wieso Er Eure Sache nicht hat siegen lassen.« Verwirrt schüttelte sie den Kopf. »Diese Niederlage Eurer Streitkräfte muß Teil irgendeines Plans sein, eines größeren Entwurfs, denn im Auge Gottes ist Eure Sache bestimmt gerecht. Wir können nicht immer wissen, warum Er sich so verhält, wie Er es tut.«
Ihre Bemerkung schien Guillaume Karle zu erzürnen. »Es war nicht das Werk Gottes, sondern Pech, reines Pech! Wären diese Ritter nicht gekommen, dann hätten wir jetzt vielleicht die Gattin des Thronerben in unserer Hand und könnten über ihr kostbares Haupt verhandeln.«
Kate sah ihn streng an. »Ihr würdet doch gewiß nie daran denken, einer Dame den Kopf abzuschlagen?«
»Warum nicht? Soll er nur auf ihrem Hals bleiben, weil sie von königlicher Geburt ist? Soll ihr die Behandlung erspart bleiben, die die Untertanen ihres Gatten erleiden, oft aus den nichtigsten Gründen? Wenn man für sie nicht tausend Pflüge erhielte, wäre es dann nicht vernünftig, sich von ihr zu trennen?«
Die junge Frau, deren Kopfpreis sicher ebenfalls in tausend und mehr Pflügen bestand, faßte sich unbehaglich an den Hals und sagte: »Euch erscheint das vielleicht ein fairer Tausch. Aber ich kann Euch versichern, die Dame würde alle Felder Frankreichs mit eigenen Händen bestellen, um sich zu retten.«
Karle kicherte. »Der Anblick wäre es vielleicht wert, ihr Leben zu verschonen. Jetzt, da sie unter Navarras Schutz steht, ist mir diese Entscheidung aus der Hand genommen. Für den Augenblick. Wir werden sehen, ob sich noch mal eine Gelegenheit bietet!«
Alejandros einzige wirkliche Ablenkung von seiner zunehmenden Sorge war die Arbeit an dem kostbaren Buch, das Kate für ihn gekauft hatte; doch selbst das verschaffte ihm keine wirkliche Ruhepause. In der einen Minute fesselten ihn die Seiten, die neue Erkenntnisse verhießen, in der nächsten wurde sein Blick wieder von der geschäftigen Straße unten angezogen – die Hoffnung auf ein Wiedersehen preßte sein Herz zusammen. Im Licht seines einzigen Fensters saß er über den alten Folianten gebeugt, aber immer häufiger blickte er stirnrunzelnd auf die Straße hinaus. Seine Augen eilten ängstlich von einer jungen Frau zur anderen, immer getrieben von der Zuversicht, das nächste Mädchen, das er sah, werde die sein, die er erwartete.
Allmählich ermüdete ihn die permanente Enttäuschung, all diese Fremden zu erblicken und niemals diejenige, nach der er sich sehnte. Dennoch schritt seine Arbeit an dem Text fast von allein voran, und tatsächlich wurde sie zu seiner einzigen Freude. Zeile für Zeile entlockte er den Symbolen ihre Bedeutung, und der Sinn, den sie ergaben, brannte sich seinem Gedächtnis ein. Doch auch das vermehrte seine Sorgen: Welchen Nutzen würde die so befreite und auswendig gelernte Weisheit den nach Gottes Willen in Gallien zerstreuten Juden bringen, wenn die Dinge, die sie wissen mußten, in seinem Kopf verschlossen blieben? Und was wäre … dachte er mit einem Schauder, was wäre, wenn ich sterben sollte, bevor ich diese Worte der Weisheit weitergeben kann? Nachdem sie einmal entziffert waren, sollten sie bewahrt bleiben. Daran bestand kein Zweifel.
Er hatte Federkiel und einen Tintenstein gekauft; aber es gab nichts, worauf er seine
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