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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Übersetzung schreiben konnte, als die Buchseiten selbst.
    Ein Sakrileg! ermahnte ihn sein Gewissen. Etwas so Schönes mit deinem eigenen Gekritzel zu besudeln! Es gehört den unglücklichen Juden, denen es zugedacht war.
    Dann rief seine Vernunft empört: Bin ich denn nicht einer von ihnen?
    Endlich triumphierte seine Einsicht. Ohne meine Bemühungen ginge es ihnen für alle Zeiten verloren.
    So, dachte er und gestattete sich einen kurzen Augenblick der Erheiterung, dieser Widerstreit ist geklärt, glücklicherweise zu meinen Gunsten. Und während die Sonne sich ihrem Höchststand am Himmel näherte, wurde ihm klar, daß er an diesem Tag noch kein Wort gesprochen hatte.
    »O Herr«, betete er laut, »bitte, gewähre mir wenigstens jemanden, mit dem ich Argumente austauschen kann, damit mir die Schande erspart bleibt, ein einsamer Narr zu werden.«
    Mit gewissenhafter Sorgfalt begann er, die Übersetzung auf die jeweils gegenüberliegenden Seiten zu schreiben. Das Hebräisch war archaisch, ein Stil, den ein ungebildeter Jude nicht würde lesen können. Er entschied, daß Französisch am besten wäre; denn Französisch würde sicher immer die wichtigste Sprache der Welt bleiben, und es würde immer einen Juden geben, der es verstand.
    Wie war der Apotheker an diesen Schatz gelangt? Sicher hatte er ihn nicht von Abraham selbst, das Buch ließ auf ein ehrwürdiges Alter schließen. Alejandro hegte keinen Zweifel, daß der scharfsinnige Autor längst dahingeschieden war und friedlich im Schatten seiner Ahnen ruhte. Hatte der unglückliche Mann, der es für eine Goldkrone an Kate verkaufte, es aus irgendeinem verkohlten Ranzen gestohlen, oder war es ihm selbst verhökert worden – vielleicht für eine Handvoll Kleingeld, von irgendeiner verzweifelten Witwe, die ihre Kinder ernähren mußte?
    Bei der betrüblichen Erkenntnis, daß er nie erfahren würde, auf welchen komplizierten Wegen das Buch in seine eigenen Hände gelangt war, seufzte er. Er wußte nur, daß es die Goldkrone, die Kate dafür geopfert hatte, mehr als wert war. Ach, Abraham, sinnierte er, möge Gott dir Frieden gewähren, denn du hast ein Werk hinterlassen, das die fürstlichste Belohnung verdient. Und es wurde von einem Christenmädchen aus seinem Versteck befreit, das irgendwie die Weisheit besaß, es als das zu erkennen, was es war. Dies, das wußte er, wäre eine Überraschung für den alten, längst verstorbenen Priester, wenn er von seinem Sitz an der Seite der Propheten auf die Erde niederschaute.
    Doch die Offenbarungen dieses Leviten waren nicht nur liebevoll; denn nach der Einleitung mit einem feierlichen Gruß hatte Abraham eine Reihe strenger Warnungen vor dem Mißbrauch seiner Weisheiten geäußert. Maranatha! hatte er geschrieben, ein Wort, das Alejandro nicht übersetzen konnte, wenn er auch von seinem Klang sehr beeindruckt war. Es war auf der Seite verschiedentlich zwischen die strengen Warnungen eingestreut; trotz allen Bemühens konnte er seine Bedeutung jedoch auch aus dem Zusammenhang nicht enträtseln.
    Weh dem, der einen Blick auf diese Seiten wirft und kein Opferer oder Schriftgelehrter ist. Maranatha!
    Das machte ihm Sorgen. Gewiß konnte er sich gegenwärtig als Schriftgelehrten bezeichnen, aber was genau war ein Opferer? Durfte er weitermachen, ohne es zu wissen? Welches Weh würde dieser alte Text über ihn bringen?
    Doch welches Weh ist denn nicht schon über mich gekommen, daß ich noch weiteres zu fürchten hätte? fiel ihm dann ein.
    Seine Augen begannen zu schmerzen, und er rieb sie einen Moment, um die Anspannung zu lockern. Er dachte an Kate und wie sie ihm seinen eigenen Rat zurückerstattet hatte – gib darauf acht, dir nicht durch zuviel Lesen die Augen zu verderben! Mit den Fingern strich er sich seine Mähne aus dem Gesicht. Dabei löste sich ein einzelnes Haar und fiel herunter. Es rutschte genau in den schmalen Spalt zwischen den Papyrusseiten. Eine Weile lang mühte er sich, es herauszuziehen, aber seine Finger waren zu dick.
    Es führte zu nichts, schließlich ließ er es einfach stecken. Er versenkte den Band vorsichtig in seine Tasche und machte sich nach einem letzten Blick aus dem Fenster auf, um jemanden zu finden, der ihm vielleicht das geheimnisvolle Wort übersetzen konnte. Obwohl er eigentlich alle Priester für Scharlatane und Parasiten hielt, nahm er an, daß ihm wahrscheinlich einer von ihnen würde helfen können. Sie kennen die Namen all ihrer Feinde, erinnerte er sich. Sicher war jemandem auch

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