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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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komplimentierte de Chauliac seinen frisch gewaschenen Gefangenen herein, als dieser auf die von Kerzen erleuchtete salle à diner zuhinkte, »setzt Euch!« Er wies auf einen Stuhl ihm gegenüber. »Ihr müßt Euer Bein schonen.«
    Die Wachen blieben draußen vor der Tür, während Alejandro mühsam vorwärtshumpelte.
    »Habt Ihr die Natur Eurer Verletzung festgestellt?« gab sich sein Lehrer teilnahmsvoll.
    »Ich glaube nicht, daß irgendwelche Knochen gebrochen sind«, antwortete der unfreiwillige Gast. »Es wird höchstens ein paar Tage dauern, dann ist es geheilt.«
    »Nun, das höre ich gern. Aber natürlich möchte ich Euch selbst untersuchen. Es soll Euch alle Pflege zuteil werden, solange Ihr Euch in meiner Obhut befindet. Nach dem Diner schaue ich den Fuß an.«
    »Ihr könnt Euch selbst davon überzeugen, de Chauliac – aber Ihr werdet meine Knochen ganz unversehrt finden.«
    »Ich habe festgestellt, daß die Juden ein Volk mit schwachen Knochen sind, das muß ich sagen. In meiner Zeit in Montpellier habe ich beobachtet, daß bei ihnen, vor allem bei den Alten, häufig gebrochene Gliedmaßen vorkommen.«
    »Wir sind nicht so leicht zu zerbrechen, wie es vielleicht den Anschein hat.«
    »Ach«, meinte de Chauliac, »da ist er wieder – Euer aufsässiger Geist! Ihr seid ein besonders angenehmer Gesellschafter, wenn Ihr aufgebracht seid.« Er winkte mit der Hand, und ein Diener erschien mit einer Karaffe. Ihre Becher wurden mit einer dunklen, aromatischen Flüssigkeit gefüllt. De Chauliac hob seinen grüßend und sagte: »Ich schlage vor, daß wir auf viele geistreiche Gespräche trinken.« Er lächelte breit. »Und auf die Heimkehr des verlorenen Sohnes!«
    »Ich habe von dieser Eurer christlichen Parabel gehört«, bekannte Alejandro, »aber ich verstehe sie nicht.«
    »Nun«, sagte de Chauliac. »Wie Ihr auch ›Maranatha‹ nicht verstanden habt.«
    Alejandro wand sich auf seinem Stuhl, der sich als wesentlich unbequemer erwies, als er auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Er spielt mit mir, dachte er. Und er genießt es.
    »Ich werde sie Euch erklären«, fuhr de Chauliac fort. »Der Sohn nimmt seinen Anteil vom Reichtum seines Vaters und läuft davon. Er geht in ein fernes Land, wo er alles verpraßt. Als er bettelarm zurückkehrt, freut sich der Vater so sehr, ihn wiederzuhaben, daß er dem Lotterbuben verzeiht und ihn willkommen heißt.«
    Mit wachsendem Unbehagen wand der ehemalige Schüler ein:
    »Vergebung ist eine gute Sache, besonders zwischen Vater und Sohn. Aber ich habe den Reichtum meines Vaters nicht vergeudet.
    Und ich habe auch keine Söhne – also weiß ich nicht recht, was Ihr mit dieser Geschichte meint.«
    De Chauliac starrte ihn im Kerzenschein an. »Aber wie wir aus England hören, habt Ihr etwas, das man als Tochter bezeichnen könnte.«
    Kalte Angst umklammerte Alejandros Herz.
    De Chauliac sah sie an seiner Miene und lächelte wieder boshaft.
    »Aber diese Geschichte dreht sich nicht um Söhne oder Töchter, sondern vielmehr um eine Gabe, die nicht weise eingesetzt wurde. Seht Ihr, Ihr habt in Avignon ein Geschenk erhalten, von mir, von Seiner Heiligkeit, dem Papst, und dieses Geschenk habt Ihr vergeudet.« Er stellte seinen Becher ab und nickte dem Diener zu, der eine Platte mit Fleisch zwischen den beiden Männern auf den Tisch stellte.
    De Chauliac schnupperte an dem Duft, der von der Platte aufstieg. »Köstlich«, sagte er. Er schloß einen Moment die Augen und genoß das Aroma von Zwiebeln und Gewürzen. »Laßt uns im Augenblick nicht weiter von diesen Dingen sprechen. Sie sind unerfreulich und würden unsere Verdauung stören. Wonnen, wie ich sie Euch heute abend vorsetze, sind in diesen Zeiten sehr schwer zu bekommen, wirklich sehr schwer!« Er nahm ein Messer und schnitt ein kleines Stück Fleisch ab, das er dann auf die Spitze des Messers spießte und in den Mund steckte. »Bitte«, lud er kauend ein, »eßt! Ihr seht zwar recht wohl aus, aber man könnte Euch ein wenig dünn nennen.«
    Alejandro aß schweigend, die Augen mißtrauisch auf seinen Peiniger gerichtet, und dachte: Es ist, als hätte er meine Rückkehr geplant.
    »Jetzt müßt Ihr mir von Euren Reisen erzählen, Arzt. Nach Eurer Flucht aus Canterbury haben wir viel weniger von Euch gehört, als uns lieb war.«
    Wir? Wer genau war » wir « ? Unbewußt packte Alejandro sein Messer fester, was die Adern auf seinem Handrücken bläulich hervortreten ließ. Es fuhr ihm kurz durch den Sinn, über den Tisch zu

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