Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
wird, uns da zu suchen.«
Er wußte noch immer nicht, wovor sie flohen. »Jetzt müßt Ihr mir aber verraten, wer Euch suchen sollte.«
Sie lächelte nur und sagte: »Das werde ich Père überlassen.«
In letzter Zeit hatte er festgestellt, daß ihr Lächeln ihm unerwartete Freude bereitete. Es lenkte ihn, wenn auch nur kurz, von all den Schreckensbotschaften, dem Streit und Elend ab. Ich werde den Klang ihrer Stimme vermissen, wenn sie fort ist, wurde ihm klar. Und ihre fast unheimliche Klugheit. Doch diese Gedanken behielt er für sich, denn er wußte, es wäre viel besser für ihn, wenn sie bereits fort wäre. Je schwieriger der Aufstand im Griff zu halten war, desto mehr würde ihre Anwesenheit ihn ablenken und nicht mehr die gelegentliche Freude sein, zu der sie sich in aller Stille entwickelt hatte. Es würde gefährlich werden, und er konnte sich nicht die Zeit nehmen, eine Frau vor Schaden zu bewahren, wenn er sich um eine Revolte kümmern mußte.
Ein Mädchen, meine ich. Aber jedenfalls ein weibliches Wesen, was immer Schwierigkeiten mit sich brachte.
Doch nach einer Wartezeit, während derer die Schatten immer länger wurden, begann er sich zu fragen, ob er sie überhaupt loswerden konnte.
»Seid Ihr sicher, daß dies der richtige Ort ist?«
»Ohne jeden Zweifel.«
»Vor wie langer Zeit wart Ihr zuletzt hier?«
»Vor vielen Jahren, aber es hat sich nicht viel verändert.« Sie zeigte auf das gelbe, keilförmige Schild des Käseladens. »Das Schild ist noch genauso wie früher.«
Angesichts ihrer Gewißheit beschloß er, nicht weiter in sie zu dringen, und blieb eine Weile still. Doch als der Tag seinem Ende zuging, wurde er sichtlich ungeduldig und meinte sich doch gründlicher erkundigen zu müssen. »Was passiert, wenn er sich verspätet? Wir können nicht die ganze Nacht hier warten.«
»Das braucht Ihr auch nicht. Ihr habt Eure Pflicht erfüllt. Aber gebt mir meine Münzen zurück, bitte.« Sie streckte die Hand aus.
Diese Entlassung überraschte ihn. »Wie könnt Ihr mich so gering einschätzen nach allem, was wir zusammen durchgestanden haben? Habt Ihr gedacht, ich würde Eure Münzen stehlen und Euch hilflos zurücklassen?«
Sein Zorn traf sie unvermittelt. »Ich … es … es tut mir leid … ich wollte Euch nicht beleidigen – aber ich wäre nicht hilflos.«
Er fragte sich, ob sie aus Angst diesen falschen Wagemut an den Tag legte. Versucht sie, ihre Furcht zu verbergen? Vielleicht sollte ich sanfter mit ihr umgehen. »Es ist möglich, daß Euer père nicht durch die Stadtmauern kam, bevor die Tore geschlossen wurden.«
»Er dürfte kaum so lange gebraucht haben wie wir. Und er würde in jedem Fall einen Weg finden. Er ist ein sehr kluger Mann.«
»Das sagtet Ihr schon.«
»Es stimmt. Und er hat mich zu einem klugen Mädchen erzogen.«
»Trotzdem werde ich mit Euch warten, um Euch sicher zu übergeben!«
»Wie Ihr wollt«, meinte sie kurz angebunden.
Sie sprachen nicht mehr, bis die Sonne hinter dem höchsten Gebäude der Straße verschwunden war.
»Ich muß zu Marcel«, sagte Karle schließlich.
»Dann geht!« Sehr leise fügte Kate hinzu: »Und nehmt meinen Dank für Eure Begleitung. Und Eure Gesellschaft.« Wieder hielt sie die Hand für den Beutel Münzen auf.
Er fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut – es wurde dunkel, sie hatte keine Unterkunft, war eine junge Frau ganz auf sich gestellt, und – und er wollte sich noch nicht von ihr trennen.
»Es paßt mir nicht, Euch hier zurückzulassen«, setzte er zu einer längeren Rede an. »Mir scheint, das wäre nicht ehrenhaft, nachdem ich doch versprochen habe, mich um Euch zu kümmern. Kommt mit mir zum Haus des Provosts von Paris. Er wird uns für die Nacht Obdach geben – und morgen kommen wir wieder her. Bald wird es zu dunkel sein, um Euren père zu erkennen – selbst wenn er noch auftauchen sollte. Und er würde nicht wollen, daß Ihr Euch hier draußen herumtreibt, das steht fest!«
Hinter der Entschlossenheit auf ihrem Gesicht sah er das besorgte junge Mädchen, das genauso unschlüssig war wie er hinsichtlich des nächsten Schritts.
»Bitte«, flehte er.
»Nun gut«, antwortete sie schließlich. »Aber ich werde Euch bei Eurem Wort nehmen – daß wir morgen wieder hier sind.«
Erleichterung durchströmte ihn, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Ich werde Euch nicht im Stich lassen«, versprach er feierlich. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie zum Fluß.
»Ah, Doktor Canches«,
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