Beobachter
Einschätzung der Situationen, in die er geriet. Ihm war klar, dass das Gefängnis gerade für ihn eine Hölle ungeahnten Ausmaßes darstellen würde.
Auch über seine eigenen Motive dachte John nach, während er sich in den Stadtverkehr einfädelte. Indem er Samson versteckte, machte er sich strafbar. Die Polizei musste nur noch einmal jenen angstschlotternden Polen vernehmen, der Segals einziger Freund auf dieser Welt zu sein schien, und schon konnten sie erfahren, dass er, John, vor wenigen Tagen ebenfalls dort gewesen war und Segals damaligen Aufenthaltsort in Erfahrung gebracht hatte. Ein Wissen, mit dem er sofort hätte zur Polizei gehen müssen. Fielder wartete nur darauf, ihn zu kriegen, und er würde sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Detective Inspector Peter Fielder.
Der war wahrscheinlich mit ein Grund, weshalb sich John in die Geschichte einmischte und wieder einmal höchst riskant am Rande des Abgrundes entlangspazierte. Er hatte damals nicht allzu viel mit Fielder zu tun gehabt, aber es hatte ausgereicht, dass beide Männer einander aus tiefster Seele nicht ausstehen konnten. Ohne dass es je ein echtes Zerwürfnis, einen Zusammenstoß, einen größeren Streit zwischen ihnen gegeben hatte. Sie waren einander einfach vollkommen unsympathisch. John hielt DI Fielder für einen erzkonservativen Spießer, für einen mittelmäßig begabten Ermittler, der aber Karriere machte und zweifellos weiterhin machen würde, weil er sich überkorrekt an alle Vorschriften hielt, höchst zuverlässig war und sich nie im Leben mit den Menschen anlegen würde, die für ihn und sein Fortkommen wichtig waren. Johns unmittelbare Mitarbeiterin war damals Sergeant Christy McMarrow gewesen, die Frau, in die Fielder hoffnungslos verknallt war. Jeder wusste das, aber Fielder glaubte wahrscheinlich immer noch, dass er seine leidenschaftlichen Gefühle überaus geschickt verbarg. Dabei war es schon damals das absolut angesagte Klatschthema auf allen Fluren gewesen, und jeder hatte über den schmachtenden Polizisten gegrinst, bis schließlich auch den hoffnungsvollsten Romantikern und den wildesten Tratschtanten der Stoff ausgegangen war: Die Geschichte entwickelte sich nicht. Es blieb beim Anhimmeln. John hätte das von Anfang an prophezeien können. Fielder war viel zu bieder, viel zu konventionell für einen handfesten Ehebruch.
Und selbst als er Christy durch Johns Fortgang gewissermaßen geerbt hatte, war die Romanze nicht in Bewegung gekommen.
John wusste, dass Fielder ihn verachtete, weil es nur wenige bürgerliche Tugenden gab, die er sich zu eigen gemacht hatte, dass er ihn aber zugleich auch beneidete, weil er auslebte, was sich Fielder selbst versagte. So war es allerdings vielen seiner Kollegen ergangen. John war ziemlich unbeliebt bei anderen Männern: Weil er gut aussah, weil er skrupellos und vollkommen unabhängig war und weil er fast jede Frau haben konnte, die es ihm angetan hatte. Die meisten hatten es ihm von Herzen gegönnt, als ihn die Praktikantin seinerzeit in die Enge getrieben hatte, aber es war ihm gelungen, den Spieß umzudrehen. Er hatte freiwillig den Dienst quittiert und war frohen Mutes in die Selbstständigkeit gegangen, und er wusste, dass er den zurückbleibenden Kollegen das Gefühl gegeben hatte, die eigentlichen Verlierer zu sein.
Er sah eine Parklücke und stellte seinen Wagen ab. Es war noch ein gutes Stück bis zu dem Restaurant, in dem er verabredet war, aber in dieser Gegend waren Parkplätze so rar wie Wasserquellen in der Wüste. Umso knapper, als die Schneeberge, die die Räumungsdienste seit Tagen an den Straßenrändern aufhäuften, auch noch jede Menge Platz wegnahmen.
Das italienische Restaurant empfing ihn mit Wärme, mit Kerzenschein, mit dem Duft nach Pasta und Kräutern, mit Stimmengewirr und Gläserklingen. Samstagabend. Es war ziemlich voll, aber John erkannte schon von der Tür aus, dass seine Verabredung bereits da war. Sie saß ziemlich weit hinten, an einem etwas abseits stehenden Tisch.
Kluges Mädchen.
Perfekt für das, was sie vorhatten.
Sie hatte ihn ebenfalls entdeckt und winkte ihm zu. Als er sich ihr durch die Tischreihen näherte, sah er, dass sie geradezu glühte vor Erwartungsfreude. Sie hatte etwas für ihn. Sie fieberte seiner Überraschung entgegen und dem Lob, das sie bekommen würde.
Detective Constable Kate Linville. Fünfunddreißig Jahre alt. Sah aber aus wie mindestens zweiundvierzig. Hellbraune Haare, blasses Gesicht. Züge, die man
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