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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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sorgfältig die Tür des Wohnwagens hinter sich und verstaute den Schlüssel in seiner Anoraktasche. Er schauderte vor der Kälte, die ihn draußen empfing. Ein strahlend blauer Himmel, Sonne, hoher Schnee, dessen Oberfläche blitzte und funkelte. Mindestens zehn Grad unter dem Gefrierpunkt, schätzte Samson. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen so kalten, so schneereichen Winter erlebt zu haben. Im Gegenteil. In den letzten Jahren hatte fast immer nur trostloses Schmuddelwetter geherrscht, und niemand hätte mehr geglaubt, je wieder eine weiße Weihnacht in England zu feiern. Oder Kinder zu sehen, die Schlitten hinter sich herzogen und zu den nächsten Hügeln stapften, um dort Nachmittage lang zu rodeln. Aus seiner frühen Kindheit entsann sich Samson solcher Freuden.
    Aber das war lange her.
    Er hatte eine Tüte mit getrockneten Brotresten bei sich, wedelte nun den Schnee von einem halb fertigen Mauerstück und schüttete das Brot auf die Steine. Er wusste, kaum wäre er ein Stück weit gegangen, würden sich die Vögel in einer schwarzen Wolke auf der Mauer niederlassen. In den letzten Tagen hatte er sie regelmäßig gefüttert. Sie stellten seine einzige Gesellschaft in der Einöde dar, und ihre hungrigen Schreie brachen ihm fast das Herz.
    »Von jetzt an müsst ihr alleine klarkommen«, sagte er leise, »ich schaffe es hier nicht mehr.«
    Sein Plan war, sich über die Felder bis zu den ersten Ausläufern Londons durchzuschlagen, dort eine Telefonzelle oder ein Postamt zu suchen und entweder über ein Telefonbuch oder einen Anruf bei der Auskunft die Adresse von John Burton ausfindig zu machen. Er brauchte eine neue Unterkunft, und Burton war der Einzige, der ihm helfen konnte. Sollte es nicht möglich sein, ihn zu finden, bliebe nur Bartek, von dem er sich aber vorstellen konnte, dass er bei seinem Auftauchen in Ohnmacht fallen oder ihn gleich davonjagen würde. Gavin, sein Bruder, wäre die äußerste Alternative. Wegen Millie. Aber ehe er verhungerte oder erfror, würde er sich in die Höhle der Löwin begeben müssen. Letzten Endes würde er sowieso bei der Polizei und im Untersuchungsgefängnis landen, da machte er sich nichts vor. Es war nur die Frage, wie lange er diesen Moment würde hinauszögern können. Und er hatte längst den Punkt erreicht, an dem er den Aufenthalt in einer Gefängniszelle nicht mehr als das größte aller vorstellbaren Übel ansah. Das Alleinsein hatte ihn fast zerbrochen. Wenn er sich jetzt auf den Weg machte, John zu suchen, so geschah das, um sein Leben zu retten. Noch ein paar Tage in dem Wohnwagen auf der verlassenen Baustelle, und er würde zum Selbstmörder werden.
    Es war halb zwei am Mittag. Schemenhaft konnte er am Horizont die ersten Häuser des Stadtrandes erkennen, ohne zu wissen, um welchen Teil der Stadt es sich handelte. Er schätzte, dass er gut eineinhalb Stunden Fußmarsch vor sich hatte, bis er eine bewohnte Gegend erreichte, aber das schreckte ihn nicht. Er war immer gern gelaufen, und er war warm angezogen, hatte sich vor seinem Aufbruch noch eine stärkende Mahlzeit aus einer Konservendose einverleibt. Zunächst konnte ihm nicht viel geschehen. Er brauchte nur dringend eine Unterkunft, ehe die Nacht anbrach. Das Thermometer fiel derzeit in den Nächten auf fast fünfzehn Grad unter den Gefrierpunkt.
    Er ging los. Es war anstrengend zu laufen, weil er bei jedem Schritt tief im Schnee versank.
    Ich werde morgen einen ganz schönen Muskelkater haben, dachte er.
    Einmal drehte er sich um. Die unfertigen Außenwände der Hochhäuser und die Kräne ragten hoch hinauf in den überirdisch blauen Himmel. Sein Wohnwagen sah klein und unscheinbar, fast verloren aus.
    Die Vögel hingen über der Mauer und kämpften um das Brot.
    3
    Seit drei Uhr parkte John gegenüber der Schule und behielt alle Ausgänge scharf im Auge. Ein paar Schüler hatten das rote Backsteingebäude mit den weiß gerahmten Fenstern verlassen, andere waren hineingegangen, aber Finley war nicht dabei gewesen. An die Schule schlossen sich die Wiesen und Felder von Hampstead Heath an, darin eingebettet Tennisplätze, andere Sportanlagen und verschiedene Gebäude, die zur Schule gehörten. Selbst wenn Finley dort gerade Unterricht hatte, vermutete John, dass er auf seinem Heimweg irgendwann hier vorn herauskommen oder zumindest vorbeigehen müsste. In einiger Entfernung befand sich eine Bushaltestelle. Es war anzunehmen, dass Finley von dort aus seinen Heimweg antreten würde.
    John war guter

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