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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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unsicher.
    »Hallo«, sagte John, »ich heiße John Burton. Du bist …?«
    »Finley. Finley Stanford.«
    »Hallo, Finley. Ich wollte zu deiner Mutter. Ist sie da?«
    »Nein.«
    »Weißt du, wann sie wiederkommt?«
    »Nein.«
    »Wo ist sie denn?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Du weißt es nicht?«
    »Sie ist verschwunden«, sagte Finley.
    John blickte ihn mit gespieltem Erstaunen an. »Verschwunden? Seit wann ist sie verschwunden?«
    »Seit Mitte November. Am 15. November ist sie verschwunden. Das war ein Sonntag.«
    »Aha. Sie packte ihre Sachen und ging aus dem Haus und kam nicht wieder? Oder wie?«
    »Nein. Wir haben am Sonntagnachmittag zusammen ferngesehen, Mum und ich. Sie hat Tee getrunken und ich einen Kakao. Und wir haben Plätzchen gegessen.«
    »Nur deine Mum und du? Dein Vater war nicht dabei?«
    »Der war in seinem Arbeitszimmer. Er hatte noch zu tun.«
    »Ich verstehe. Und dann?«
    »Dad ist weggegangen, weil er zum Abendessen verabredet war. Mit einem Mandanten. Mein Dad ist ein Rechtsanwalt.«
    »Ich weiß.«
    »Mum und ich haben nicht zu Abend gegessen, weil wir so satt waren. Von den vielen Plätzchen. Ich habe noch ein bisschen am Computer gespielt. Um neun musste ich ins Bett.« Finley unterbrach sich plötzlich und sah John misstrauisch an. »Wieso wollen Sie das alles wissen?«
    »Ich bin ein guter Bekannter deiner Mutter. Ich müsste sie in einer ziemlich dringenden Angelegenheit sprechen. Es wäre wichtig für mich, herauszufinden, was passiert ist.«
    »Ja«, sagte Finley bekümmert, »das weiß ich eben auch nicht. Am nächsten Morgen hat mich Dad geweckt und gesagt, dass Mum in der Nacht weggegangen ist, aber dass sie bestimmt wiederkommt. Ich bin dann ganz normal in die Schule gegangen. Ich habe so gehofft, dass sie wieder da ist, wenn ich nachmittags nach Hause komme, aber …« Er zuckte mit den Schultern. John musterte ihn aufmerksam. Der Junge war blass und feingliedrig, sah aber gesund aus. Er machte sich deutlich Sorgen um seine Mutter, wirkte jedoch keineswegs psychisch instabil. Er schien in sich zu ruhen. John fragte sich, ob er vielleicht sogar ein wenig zu sehrin sich ruhte. In seiner Tätigkeit als Jugendhandballtrainer hatte er mit vielen Kindern aus ausgesprochen problematischen Familienverhältnissen zu tun, und ihm war schon manchmal aufgefallen, dass Kinder aus besonders desolaten Lebensumständen manchmal diese etwas eigentümliche Ruhe ausstrahlten, von der man irgendwann merkte, dass sie Ausdruck einer völligen Zurückgezogenheit des Kindes in sich selbst war. Es gab Kinder aus intakten Verhältnissen, die sich wesentlich verhaltensauffälliger gaben als solche, bei denen man irgendwann erfuhr, dass die Mutter trank und der Stiefvater gewalttätig war. John hatte auffallend verhaltensunauffällige Kinder erlebt, deren Zuhause ein einziges Desaster darstellte.
    Er überlegte, ob er, wäre er völlig unvoreingenommen, auch Finley so charakterisiert hätte: auffallend unauffällig.
    »In welche Schule gehst du?«, fragte er.
    »William Ellis School. In Highgate.«
    »Gehst du gern zur Schule? Hast du viele Freunde?«
    Der Junge überlegte kurz. »Ja, es ist schon okay dort. Freunde habe ich nicht so viele. Aber ich bin gerne allein.«
    »Verstehe«, sagte John. Dann kehrte er zu seinem eigentlichen Anliegen zurück: »Ist das früher schon mal passiert? Dass deine Mutter einfach verschwunden ist und niemand wusste, wohin?«
    »Einmal. Vor zwei Jahren ungefähr. Da kam sie aber nach zehn Tagen wieder.«
    So ganz normal, wie Stanford es gegenüber Fielder dargestellt hat, ist das Abtauchen von Mrs. Stanford nun auch nicht, dachte John. Einmal bereits war sie verschwunden, jedoch über einen absolut überschaubaren Zeitraum hinweg. Jetzt hingegen fehlte seit dem fünfzehnten November jede Spur von ihr. Sie hatten den elften Januar. Fast zwei Monate waren verstrichen.
    »Die Polizei hat auch schon nach ihr gefragt«, sagte Finley. »Am Freitag. Da war ein Inspector von Scotland Yard hier. Sie sind aber nicht von der Polizei?«
    »Nein, Finley. Ich bin nicht von der Polizei.«
    »Und weshalb dann alle diese Fragen?«, sagte eine scharfe Stimme hinter ihm. John drehte sich um. Unbemerkt war ein Mann vom Haus herübergekommen. Jeans, Pullover, sorgfältig gekämmtes silbergraues Haar. Logan Stanford.
    »Dr. Stanford?«, fragte John.
    »Was wollen Sie hier?«, fragte Stanford zurück, ohne sich vorzustellen. »Was haben Sie mit meinem Sohn zu bereden?«
    »Er ist ein Bekannter von

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