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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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fast schon seltener Moment in diesem Winter. Er lehnte sich weit nach vorn über das Lenkrad, kroch mit den Blicken fast hinein in jedes Auto. Es war die nachmittägliche Hauptverkehrszeit, ein Wagen klebte am anderen. Hektisches Hupen, Bremsen. John wusste, es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis er von seiner Position vertrieben wurde, und dann hatte er ein echtes Problem, weil es nicht möglich war, auf dieser Seite der Straße auch nur anzuhalten.
    In diesem Moment sah er sie kommen. Ein kleiner blauer Fiesta, am Steuer die Frau mit der Sonnenbrille und der tief in die Stirn gezogenen Mütze. Sie wirkte völlig auf die Straße und den Verkehr konzentriert. Sehr dicht hinter ihr fuhr ein anderes Auto. Es würde ziemlich waghalsig sein, sich dazwischenzuschieben, und John konnte nur hoffen, dass er nun nicht auch noch einen Unfall verursachte, aber es blieb ihm nichts übrig, er musste alles riskieren. Als die Frau direkt auf seiner Höhe angelangt war, schob er sich bereits so weit nach vorne, dass er die halbe Fahrbahn blockierte, und kaum war das Auto knapp an ihm vorbei, schoss er hinaus. Der Fahrer des nachfolgenden Wagens trat mit aller Kraft in die Bremsen, sodass sein Fahrzeug heftig schlitterte und schleuderte. Der Fahrer hupte wie ein Verrückter, fuchtelte mit den Armen und schrie vermutlich eine ganze Kaskade übler Schimpfworte hinter ihm her. Aber John war auf der Straße, und es hatte keinen Zusammenstoß gegeben. Er konnte beobachten, dass Liza in den Rückspiegel schaute, aufgeschreckt von dem Hupen und den quietschenden Reifen hinter ihr. Er hoffte, dass sie ihn nicht als den Mann erkannte, der sich vorhin plötzlich auf sie zubewegt hatte. Allerdings hätte ihr das nicht viel genutzt, sie hätte kaum irgendwohin flüchten können, eingeklemmt in die sich zäh bewegende Kolonne von Autos im winterlichen Feierabendverkehr.
    Er hatte sie. Nach menschlichem Ermessen konnte es ihr nun nicht mehr gelingen, ihn abzuhängen. Dennoch notierte er, während sie an einer Ampel warteten, ihr Autokennzeichen in seinem Notizbuch. Damit hatte er in jedem Fall einen Anhaltspunkt, sollte doch etwas Unvorhergesehenes geschehen.
    Er fühlte ein fast kindliches Glück über seinen Erfolg.
    Und einen Jagdinstinkt, von dem er gar nicht gewusst hatte, dass es ihn noch in ihm gab.
    2
    Es schien so, als bemerke Liza Stanford tatsächlich nicht, dass sie verfolgt wurde. Jedenfalls unternahm sie nicht einen einzigen Versuch, Johns Wagen abzuhängen. Kein rasantes Brettern über eine fast schon rote Ampel, kein unvermutetes Abbiegen, ohne zu blinken. Sie schien völlig ruhig zu sein. John vermutete, dass sie ihn zuvor auf der Straße eher instinktiv als bewusst wahrgenommen hatte und dass sie sich inzwischen wegen ihrer überstürzten Flucht ärgerte. Wahrscheinlich fieberte sie den Donnerstagen und dem Blickkontakt mit ihrem Sohn die ganze Woche lang entgegen, und heute hatte sie den Aufenthalt in seiner Nähe radikal abgebrochen. Normalerweise hätte sie vermutlich gewartet, bis er wieder herauskam. Stattdessen befand sie sich auf dem Heimweg und fragte sich, ob das richtig gewesen war.
    Sie bewegten sich in Richtung Londoner Süden. Damit in die völlig entgegengesetzte Richtung zu Hampstead, wo Liza Stanfords eigentliches Zuhause lag. Er fragte sich, ob sie wohl ihr Auto auf ihre frühere Adresse zugelassen hatte, vermutete fast, dass es so war. Ein schlauer Schachzug: Sollte sie wegen irgendetwas auffällig werden, das polizeiliche Ermittlungen nach sich zog, würde jeder Beamte wieder nur vor der Haustür ihres Ehemannes landen, der nichts anderes sagen konnte, als dass seine Frau spurlos verschwunden sei. Tatsächlich hatte es den Anschein, als habe sich Liza ein Leben in größtmöglicher Anonymität aufgebaut.
    Warum nur? Warum tat eine verheiratete Frau und Mutter eines Kindes so etwas?
    Sie erreichten Croydon im Südosten. Hier waren in den vergangenen zwanzig Jahren etliche Hochhaussiedlungen aus dem Boden geschossen, seelenlose Bauten, die natürlich optimale Möglichkeiten zum Verstecken boten. Liza kurvte zwischen einigen Wohnsilos herum, steuerte dann ihren Wagen in eine Parklücke am Straßenrand, die sich urplötzlich zwischen endlosen Reihen parkender Autos aufgetan hatte. John hatte es schwerer. Er musste noch ein ziemliches Stück fahren, ehe er eine Möglichkeit fand, sein Auto abzustellen. So schnell er konnte, hastete er zurück. Zum Glück traf er Liza noch an, als sie vor der gläsernen

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