Beobachter
verstehen Sie? Er muss voller Hass und Brutalität auf sie losgegangen sein. Bei dem Mann stimmt etwas nicht. Er hat auch so starre Augen. Auf mich wirkt er eiskalt, und ich konnte ihn nie leiden, obwohl er mich immer sehr höflich gegrüßt hat.«
»Aber niemand aus der Nachbarschaft hat je versucht, einzugreifen?«
»Wie denn? Sie hätte alles abgestritten, wenn man sie gefragt hätte. Sie hat die Spuren ja immer zu verbergen versucht. Und die Polizei rufen … den Mut hatte niemand. Man hat auch die Situation selbst nie direkt mitbekommen. Das Haus liegt weit zurück, hat den riesigen Garten, ist völlig umstellt von Bäumen. Man hat nichts gehört und gesehen. Wären da Schreie gewesen, Hilferufe, dann hätte man gewusst, die Polizei ertappt ihn jetzt auf frischer Tat. Aber so … Am Schluss hätten sie gar nichts gegen ihn machen können, aber er hätte bestimmt herausgefunden, wer ihn angezeigt hat, und dann …«
»Und dann …?«, fragte Christy, als die Frau nicht weitersprach.
Die andere schien zu fürchten, sich lächerlich zu machen oder überspannt zu wirken. »Sie kennen ihn nicht. Ich hatte einfach Angst.«
»Dem Sohn war nichts anzumerken?«
»Ein stilles und sehr blasses Kind. Zustill und zublass, meiner Ansicht nach. Ganz sicher kein glückliches Kind.«
»Aber es gab keine Anzeichen dafür, dass er auch misshandelt wurde?«
»Nein. Nie. Irgendwie glaube ich, dass Stanford kein Problem mit Kindern hat. Er hat ein Problem mit Frauen.«
»Auch mit anderen Frauen als mit seiner eigenen?«
»Es ist nur so ein Gefühl … ja. Aber ich kann das nicht begründen.«
Christy dankte für das Gespräch und verabschiedete sich, prägte sich aber den Namen der Frau, der auf einem Klingelschild am Tor stand, und die Hausnummer ein. Vielleicht würden sie noch einmal auf sie zurückkommen müssen.
»Von mir wissen Sie nichts!«, rief die andere ihr noch nach.
Christy stieg ins Auto, wendete und fuhr zurück Richtung Innenstadt. Über die Freisprechanlage rief sie Inspector Fielder an. Wie sie erwartet hatte, saß er noch im Büro.
Sie schilderte ihm ihren vergeblichen Besuch bei der Familie Stanford und das Gespräch mit der Nachbarin.
Von Fielder kam zunächst entgeistertes Schweigen.
»Das ist ja ein Ding«, sagte er schließlich und fügte dann hinzu: »Erschien Ihnen die Nachbarin glaubwürdig? Oder kann es sein, dass sie einfach ziemlich heftig herumspekulierte?«
»So kam sie mir nicht vor. Sie scheint zudem wirklich Angst vor ihm zu haben. Und es passt ja auch irgendwie zusammen. Uns war klar, dass mit dieser Familie etwas nicht stimmt, und die Geschichte mit Lizas Depressionen und ihrem routinemäßigen Untertauchen erschien uns mehr als suspekt. Das Ganze gewinnt plötzlich Konturen.«
»Ja«, sagte Fielder. Er klang besorgt. »Sie meinen …«
»Ich meine, dass sich Liza Stanford entweder vor ihrem Mann irgendwo versteckt hält, weil sie sich in echter Lebensgefahr fühlt. Oder dass sie schon gar nicht mehr lebt. Dass eres ist, der sie hat verschwinden lassen.«
»Wissen Sie, was Sie da sagen?«
»Natürlich weiß ich das. Sir, die Sache stinkt zum Himmel. Ich habe ein Scheißgefühl. Stanford ist ein Mann, den seine ganze Nachbarschaft fürchtet. Der seine Frau regelmäßig übel zurichtet. Die Nachbarin beschrieb im Grunde einen Psychopathen, und sie kam mir keineswegs wie eine Spinnerin vor.«
»Trotzdem sind das alles nur Vermutungen, Christy. Und auch die Behauptung, dass er seine Frau misshandelt, können Sie nur durch das Gespräch mit einer Nachbarin am Gartenzaun stützen. Das ist bislang recht dünn.«
»Was ist daran dünn? Liza ist verschwunden. Zwei Frauen, die sie kannte, sind von einem offensichtlichen Psychopathenermordet worden!«
»Sie meinen, Stanford … Charity- Stanford, der Mann, der regelmäßig Hunderttausende Pfund für die Ärmsten dieser Erde sammelt … dieser Mann ist dafür verantwortlich?«
»Ich würde das nicht ausschließen. Der Mann tickt nicht richtig. Der hat ein Machtproblem, deswegen peinigt er seine Frau immer wieder auf brutale Weise. Vielleicht hat er in Carla Roberts eine Gefahr gewittert. Vielleicht hat Liza Carla das Desaster ihrer Ehe anvertraut und Carla hat sie bearbeitet: Geh zur Polizei! Zeig ihn an! Wenn du es nicht tust, dann tu ich es! In der Art. Ihm ist das zu Ohren gekommen, und er ist durchgedreht. So, wie er bei seiner Frau offenbar auch regelmäßig durchdreht!«
»Und Dr. Westley?«
»Dr. Westley hat, wie wir wissen,
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