Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
Vom Netzwerk:
So wie heute. Wie riskant das war, weiß ich jetzt. Es hätte auch mein Mann sein können, der dort auf mich lauert.«
    »Finley vermisst Sie.«
    Krampfhaft drängte sie die Tränen zurück. »Ja. Ja, denken Sie, das weiß ich nicht? Denken Sie, es quält mich nicht? Ich könnte sterben darüber. Aber ich weiß trotzdem, dass es ihm besser geht als früher. Und anders als wenn mein Mann die Trennung herbeigeführt und mich in eine geschlossene Anstalt gebracht hätte, fühle ich die Freiheit, die Situation jederzeit zu beenden. Wenn ich es nicht mehr aushalte, ohne Fin zu leben, dann gehe ich zurück. Trotz allem, was mich erwartet.«
    »Ihr Mann hat nie gefürchtet, dass sich Finley jemandem anvertraut? Einem Lehrer? Einem Klassenkameraden oder dessen Eltern?«
    »Mein Mann weiß nicht, was Furcht ist. Zumindest weiß er nicht, wie sie sich anfühlt. Er weiß nur, wie man sie verbreitet. Er hat Fin genauso paralysiert wie mich. Wir wussten beide immer, dass alles schlimmer wird, wenn wir irgendjemandem etwas sagen. Mein Mann musste uns nicht einmal ausdrücklich verbieten, mit jemandem über all das zu sprechen. Wir hätten es nie getan. Für uns ging es nur darum, das alles irgendwie auszuhalten. Und zu überleben.«
    Sie trank ihren Kaffee, starrte an die gegenüberliegende Wand, wo Finleys große Augen aus vielen gerahmten Bildern zu ihr hinüberblickten. Sie fragte sich, ob Burton wirklich begriffen hatte. Mit einem gefährlichen Psychopathen zu leben veränderte alles, den gesamten Blick auf die Welt, aber auch das Gefühl für Sicherheit und Stabilität, das es einmal gegeben haben mochte. Irgendwann vor langen Jahren, in einem anderen Leben, an das sie sich nur noch schwer zu erinnern vermochte, hatte auch sie an diese Garanten des beschützten Daseins geglaubt: Recht und Gesetz, Gerechtigkeit, Solidarität. Der Boden unter ihren Füßen schien stabil gewesen zu sein, und sie hatte sich in der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, sicher gefühlt.
    Dann hatte sie gelernt, dass all dies ein Trugschluss war. Es gab keine Sicherheit. Es gab keinen Schutz, keine Gerechtigkeit, keine Solidarität. Es gab das Recht des Stärkeren, mehr nicht. Die Welt war ein Ort des Grauens, nur oberflächlich in der Balance gehalten durch ein dünn gewobenes Netz fadenscheiniger Sicherheitssysteme. Wer durch die Maschen rutschte, fiel ins Bodenlose, und das taten weit mehr Menschen, als sie es je geahnt hatte. Verstanden hatte sie es erst, nachdem sie selbst im freien Fall abgestürzt war. Als nichts und niemand da war, sie zu halten.
    Burton hatte noch einmal nach Carla und Anne gefragt.
    Carla Roberts und Anne Westley.
    Noch jetzt, allein in der Wohnung, im flackernden Schein der Kerzen an den Wänden und in der Angst, diesen Zufluchtsort, der ihr trotz allem vertraut geworden war in den letzten acht Wochen, wieder zu verlieren, musste sie lächeln, bitter und resigniert.
    Carla und Anne waren ihre beiden Versuche gewesen, Hilfe zu finden. Beide Versuche waren gescheitert. Beide Frauen hatten versagt.
    »Ihren Mann störte es nicht, dass Sie zu dieser Frauengruppe gingen?«, hatte Burton wissen wollen.
    Sie hatte den Kopf geschüttelt. »Er wusste nicht, dass sich dort Frauen trafen, die geschieden waren oder getrennt lebten. Ich hatte ihm etwas von Esoterik erzählt, was er idiotisch fand, was ihn aber nicht beunruhigte. Das Ganze war natürlich höchst riskant. Er hätte jederzeit Nachforschungen anstellen können. Er tat es nicht. Er war beruflich sehr überlastet in der Zeit. Er wurde nachlässig, was meine Überwachung anging.«
    »Sie vertrauten sich Carla Roberts an?«
    »Nicht in allen Details. Sie redete sowieso ständig nur über sich und ihr Schicksal und sah in mir die geduldige Zuhörerin. Aber eines Tages trafen wir uns außerhalb der Gruppe bei ihr zu Hause. Ich trug wieder einmal meine Sonnenbrille, und nachdem Carla eine halbe Stunde lang gejammert und geklagt hatte, hielt sie plötzlich inne, sah mich an und fragte: Wieso trägst du eigentlich ständig diese Sonnenbrille?
    Es war ein regnerischer, trüber, dunkler Tag. Normalerweise erzählte ich in derlei Situationen immer etwas von meinen überempfindlichen Augen, meinen Allergien oder einer Bindehautentzündung. Aber auf einmal … ich weiß gar nicht, warum … Ich nahm jedenfalls einfach die Brille ab und sagte: Darum!
    Ich sah übel aus. Das rechte Auge war fast völlig zugeschwollen und dunkelviolett unterlaufen. Kein schöner Anblick.«
    »Wie

Weitere Kostenlose Bücher