Beobachter
müssen. Auch wenn er selbst nie einen Angriff hat aushalten müssen – seine Seele ist schwer beschädigt.«
»Alle paar Tage ist Tara hier«, sagte Liza. »Sie will, dass ich Logan anzeige. Dass ich die Scheidung einreiche. Mit Finley ein neues Leben beginne. Mich nicht länger verstecke. Ich weiß auch, dass sie recht hat, aber …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin noch nicht so weit. Und an manchen Tagen glaube ich fast, es wird schlimmer. Ich will mich eher immer tiefer verkriechen, als mich wieder aus der Höhle zu wagen und ihn anzugreifen. Aber Tara lässt nicht locker, und vielleicht hat sie mich irgendwann so weit. Oft denke ich … ich bin ein Projekt für sie. Sie will etwas durchsetzen und erreichen. Aber zumindest hat mich das für den Moment in Sicherheit gebracht.«
Nicht schlecht ausgedrückt, dachte John. Ein Projekt. Das mochte stimmen. Tara Caine zog nicht einfach selbst gegen Logan Stanford zu Felde, obwohl ihr als Staatsanwältin etliche Möglichkeiten offenstehen würden. Sie wollte Liza animieren, es selbst zu tun. Dafür investierte sie Zeit und in nicht unerheblichem Maße Geld. Sollte sie Erfolg haben, war allerdings abzusehen, dass sie alles problemlos wiederbekommen würde: Als geschiedene Frau würde Liza sehr wohlhabend sein.
Geld war jedoch bestimmt nicht Taras Antriebsfeder. John hätte nicht einmal begründen können, weshalb er davon so sicher ausging. Er spürte es einfach. Es ging um irgendetwas, das viel größer war. Viel wichtiger. Viel bedeutungsvoller.
»Haben Sie Tara von Carla Roberts erzählt?«, fragte er. »Und von Anne Westley?«
»Ich habe ihr von beiden erzählt, ja. Tara wollte wissen, ob denn nie jemand in meinem Umfeld etwas gemerkt habe, und ich sagte, nein, nicht dass ich wüsste, aber ich hätte mich zwei Frauen anvertraut in der Hoffnung, es werde etwas geschehen. Aber das hatte ja nicht funktioniert.«
Da war etwas … Er sah es noch nicht ganz klar, aber es war, als komme etwas in seinen Gedanken mehr und mehr in Bewegung, als nähere er sich einer Erkenntnis, die alles einleuchtend und durchschaubar machen würde. Er hatte danach gesucht, im Ermittlerteam hatten sie ebenfalls danach gesucht: nach dem Menschen, der sie alle drei gekannt hatte, alle drei Opfer, die so lange ohne jede Verbindung zueinander erschienen waren. Carla, Anne und Tom. Gillian, die möglicherweise an Toms Stelle hätte sein sollen.
Zum ersten Mal hatte er nun einen Namen, zum ersten Mal, seitdem Samson Segal ins Spiel gekommen war, dem eine Bekanntschaft mit Anne und Carla zumindest nicht hatte nachgewiesen werden können.
Tara Caine.
Die offenkundig besessen davon gewesen war, einer Frau zu helfen, die sich allein nicht hatte helfen können. Und die von jedem im Stich gelassen worden war, an den sie sich in ihrer Not gewandt hatte.
Noch klafften Lücken. Noch vermochte er kein vollständiges Bild zu zeichnen, das ihm den Weg zur Erkenntnis wies.
Aber ich bin dicht dran. Und irgendwie hängt es mit Tara Caine zusammen. Und Gillian ist bei ihr!
Er zog sein Handy hervor. »Entschuldigen Sie«, sagte er, »ich muss kurz telefonieren.«
Er tippte zum zweiten Mal an diesem Tag Gillians Handynummer ein. Wieder nahm niemand den Anruf entgegen. Wieder meldete sich nach einer Weile nur die Mailbox.
Er sprach erneut darauf: »Gillian, ich bin es, John. Bitte ruf mich an. Es ist wichtig. Bitte melde dich doch!«
»Was ist los?«, fragte Liza, die die Dringlichkeit in seiner Stimme vernommen hatte.
Er winkte ab. »Das führt jetzt zu weit. Möglicherweise haben wir ein großes Problem.«
John wusste, dass der Moment gekommen war, an dem er zu Detective Inspector Fielder gehen müsste. Er verfügte inzwischen über Informationen, die er nicht mehr zurückhalten durfte, und er brauchte den Polizeiapparat mit all seinen Möglichkeiten, um weitermachen zu können. Er würde Liza Stanford dabei nicht aus allem heraushalten können. Seine frühere Kollegin Constable Kate Linville möglicherweise auch nicht.
Vielleicht durfte er sich daran nicht mehr stören.
Er stand auf. Bevor er zur Polizei ging, würde er zu Tara Caine fahren. Am Ende saßen die beiden Frauen noch in der Wohnung, und Gillian ging nur deshalb nicht an ihr Handy, weil sie seine Nummer im Display sah und fürchtete, von ihm wieder bedrängt zu werden.
Aber er glaubte das selbst kaum. Als sie zuletzt gesprochen hatten, war Gillian nach eigenen Worten kurz davor gewesen, London zu verlassen. Jetzt war
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