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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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stießen.
    Sie kämpfte mit den Tränen, als sie spürte, wie Tara nun auch ihre Fußknöchel unbarmherzig verschnürte. Einen ganz kurzen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken an Gegenwehr. Tara hatte die Pistole beiseitegelegt und stand vornübergebeugt in der geöffneten Heckklappe des Wagens. Ein gezielter Tritt in den Unterleib würde sie für einen Moment außer Gefecht setzen. Aber dann? Mit auf dem Rücken gefesselten Händen – würde sie schnell genug nach draußen laufen können? Die einstige Freundin würde sich rasch wieder erholen und nur Sekunden brauchen, um die Waffe an sich zu nehmen. Gillian zweifelte nicht, dass Tara ernst machen würde. Ein Schuss in den Kopf. Wie bei Tom.
    Es erschien ihr zu riskant. Und gleich darauf waren auch ihre Füße schon gefesselt, und die Sache hatte sich erledigt. Ihre eigentliche Chance hatte sie zuvor gehabt, als ihr plötzlich so unheimlich zumute gewesen war und sie gewusst hatte, dass sie Tara irgendwie loswerden musste. Was ihr geglückt wäre, hätte nicht Samson Segal die unselige Idee gehabt, sie zu warnen. Wie kam er bloß darauf, Tara zu verdächtigen? Zweifellos hatte er damit recht, aber wie, zum Teufel, war er ihr auf die Schliche gekommen? Und er hatte von wir gesprochen. Mit wem machte er gemeinsame Sache?
    Tara zog eine dicke Wolldecke aus dem Kofferraum von Gillians Wagen und warf sie über die gefesselte Frau.
    »Damit du nicht frierst«, sagte sie. »Wer weiß, wie lange wir unterwegs sind.«
    Schon wieder wollten Gillians Augen überlaufen, nicht nur, weil die dicke Wolle ihr das Atmen erschwerte, sondern auch, weil eine Erinnerung an glückliche Zeiten in ihr aufwallte: Die Decke stammte ursprünglich aus dem Auto, das Tom in seinen Studententagen besessen hatte, die unmögliche Rostlaube, die nur auf gutes Zureden hin ansprang und aus deren zerschlissenem Rücksitz der Schaumstoff quoll; daher hatte Tom dort die Decke ausgebreitet. Sie hatten einander gerade erst kennengelernt und waren so verliebt gewesen, dass sie beständig nur auf Wolken wandelten, und eines Tages im Mai waren sie ans Meer gefahren und dort geschwommen. Gillian entsann sich des eiskalten Wassers und der noch sehr frühlingshaft frischen Luft draußen. Sie hatte zu lange herumgeplantscht und hinterher geschlottert vor Kälte, sie hatte blaue Lippen gehabt und ihre Zähne waren willenlos aufeinandergeschlagen. Tom hatte schließlich die Decke vom Rücksitz geholt und sie darin eingewickelt, und zusätzlich hatte er beide Arme um sie geschlungen und versucht, ihr etwas von seiner Körperwärme abzugeben. So hatten sie eine halbe Ewigkeit am Strand gesessen, in einer einsamen Bucht, in der sich kleine Krebse im Sand eingruben, Seevögel herumstolzierten und glitschiger grüner Tang in glänzenden Schlieren über flachen Felsen lag. Der Himmel spiegelte sich in den Pfützen, die von der letzten Flut zurückgeblieben waren. Seltsamerweise war Gillian die Situation als unfassbar romantisch erschienen, als vollkommenes Glück, von dem sie wusste, dass sie es niemals vergessen würde. Als Tom Jahre später die alte Decke nicht mehr in seinem schicken BMW haben wollte, hatte Gillian sie schließlich in den Kofferraum ihres Autos gelegt.
    Während die Heckklappe zugeschlagen wurde, Tara ihren Wagen ein Stück nach vorne setzte, dann wieder ausstieg und das Garagentor schloss, dachte Gillian, dass sie, selbst wenn sie diese ganze Geschichte überleben sollte, niemals wieder ein normales Leben würde führen können. Die Erlebnisse wogen zu schwer, sie würden immer da sein. So wie die Erinnerung an Tom und das Meer und den kalten Maitag immer da gewesen war. Darüber hatten sich nun andere Bilder geschoben: der ermordete Tom, der so seltsam verrenkt über dem Stuhl im Esszimmer lag. Der Abend mit Luke Palm, als sie geglaubt hatte, eine Gestalt im Haus zu sehen.
    Samson Segals Stimme auf dem Anrufbeantworter.
    Taras tote Augen.
    Von jetzt an würde das ihre Wirklichkeit sein.
    Und sie hätte alles gegeben, in ihre frühere Normalität zurückkehren zu können, in eben diese Welt, mit der sie gehadert hatte. Sie wollte nur ihr Leben wiederhaben. Ihr Leben, wie es gewesen war. Nichts anderes ersehnte sie.
    Während der Wagen wieder anfuhr, überlegte Gillian, wie ihre Chancen standen, und kam zu eher trostlosen Ergebnissen. Wann würde man sie vermissen? Ihre Eltern und Becky würden wahrscheinlich irgendwann anrufen und sich nach dem zweiten oder dritten Versuch wundern, dass sie

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