Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
Vom Netzwerk:
zu tun. Beide haben sich komplett herausgehalten. Liza hatte keinerlei Chance, von ihnen Hilfe zu bekommen.«
    Unterlassene Hilfeleistung. Das große Thema im Leben der Staatsanwältin. Carla Roberts und Anne Westley hatten sich so verhalten wie Lucy Caine-Roslin: Augen zu. Bloß nicht genauer hinschauen. Keinen Ärger riskieren.
    »Und deshalb hast du die beiden …?«
    »Ob du es glaubst oder nicht, ich hatte das zunächst gar nicht vor. Ich war ziemlich wütend auf diese beiden Frauen, die einen Menschen in höchster Not im Stich gelassen und damit seinem Peiniger in die Hände gespielt hatten, aber ich dachte nicht daran, sie zu töten. Ich wollte ihnen bloß ein bisschen Angst einjagen. Sie aus ihrem satten, spießigen Dasein ein wenig aufscheuchen. Ich habe sie terrorisiert. Liza Stanford hatte Tag und Nacht Angst um ihr Leben. Die beiden sollten wenigstens eine Ahnung davon bekommen, wie sich das anfühlt.«
    »Ich verstehe.«
    »Es war einfach, die Tür zu dem Hochhaus, in dem Carla Roberts lebte, zu manipulieren. Ich konnte kommen und gehen, wann immer ich wollte, wann immer ich etwas Zeit übrig hatte. Es machte mir Spaß, den Aufzug dann und wann zu Roberts hochzuschicken, ohne dass natürlich jemand ausstieg. So etwas kann einen zermürben. Und: ein Auto nachts in der weltabgeschiedenen Einöde von Anne Westley. Scheinwerfer, die über die Wände ihrer Zimmer gleiten. Ein Motor wird abgestellt. Aber niemand zeigt sich.«
    »Das hat bestimmt seinen Zweck erfüllt.«
    »Ja, sicher. Nervös waren die beiden alten Damen auf jeden Fall. Aber …«
    »Aber es reichte dir nicht?«
    Gillian atmete tief durch. Das Schlimme war, dass sie sich mit jeder Minute schwächer fühlte. Aber sie durfte nicht aufgeben. Sie war schon so weit gekommen. Sie hatte eine echte Chance, wenn sie jetzt nicht schlappmachte.
    Sie dachte an Becky. Becky brauchte sie.
    Ein letzter, verzweifelter Versuch. Mit all ihrer Kraft, mit ihrem ganzen Gewicht und mit dem Tischbein in beiden Händen warf sie sich gegen die Fensterläden.
    Es tat einen ohrenbetäubenden Schlag, als einer der Läden aus seiner Verankerung brach. Er krachte nach draußen, riss den anderen Laden mit sich, vermochte ihn aber nicht zu lösen. Mit aller Wucht schlugen die ineinanderhängenden Läden gegen die Außenwand der Hütte, knallten noch zwei- oder dreimal dagegen, blieben dann ruhig hängen.
    Das Fenster war offen.
    Gillian sah hinaus in die Nacht und in den Schnee und brauchte ein paar Sekunden, um zu erfassen, dass es wirklich geklappt hatte. Sie hatte sich aus einer nahezu aussichtslosen Lage befreit. Ihre Arme zitterten, ihre Muskeln schmerzten von der ungewohnten Anstrengung.
    Sie war frei.
    Jetzt hieß es, überlegt vorzugehen und nichts zu riskieren.
    Die kostbaren Schlüssel verstaute sie tief in ihrer Manteltasche und vergewisserte sich mehrfach, dass sie nicht herausfallen konnten. Dann packte sie die beiden Sandwiches und die Wasserflasche, in der sich wenigstens noch ein Rest Wasser befand, in die andere Tasche. Sie fühlte sich dort unbequem und sperrig an und ragte ein großes Stück hinaus, aber es war wichtig, dass sie etwas zu essen und zu trinken dabeihatte. Die Taschenlampe, die ihr unschätzbare Dienste geleistet hatte, kam zu dem Schlüsselbund. Damit hatte sie alles, was sie brauchte – zumindest alles, was sie sich in der derzeitigen Situation beschaffen konnte.
    Sie schwang sich auf das Fensterbrett und sprang auf der anderen Seite hinunter. Der Zweig irgendeines Nadelbaumes schlug ihr ins Gesicht und zerkratzte ihre Haut, aber sie merkte es kaum. Sie landete im tiefen, weichen Schnee, rappelte sich sofort auf und bewegte sich vorsichtig zur Vorderseite der Hütte hin. Sie spähte um die Ecke.
    Aber niemand war zu sehen. Der Schnee gab Helligkeit, und zwischen großen Wolkenlücken schienen der Mond und die Sterne hindurch. Gillian kämpfte sich durch das kurze Waldstück, blieb dann stehen. Von hier aus hatte sie einen guten Überblick. Hinter ihr und neben ihr Wald. Vor ihr die Ebene, über die sie und Tara vor einigen Stunden gekommen waren. Sie vermochte sogar die Spuren im Schnee zu erkennen. Es würde nicht weiter schwierig sein, den Rückweg zum Auto zu finden.
    Unangenehm war die Tatsache, dass die Ebene keinerlei Schutz vor Blicken bot. Als weithin sichtbare, klar umrissene schwarze Gestalt würde sie über sie hinwegwandern. Sollte sich Tara auf dem Rückweg zur Hütte befinden, würde sie sie bereits von Weitem sehen.

Weitere Kostenlose Bücher