Beobachter
schön überzeugt von dir, dachte Gillian.
»Wer war das denn?«, fragte Tara natürlich prompt. »Ich will dich ja nicht in Verlegenheit bringen, Gillian, aber du hattest eine etwas schrille Stimme, und du hast ziemlich rote Wangen bekommen. Was ist los?«
»Das war der Handballtrainer von Becky. John Burton.«
»Und?«
»Er möchte sich Mittwochabend mit mir treffen.«
Tara musterte sie aufmerksam. »Gibt es etwas, das du mir erzählen möchtest?«
Gillian blieb stehen. Sie spürte selbst, dass ihr Gesicht glühte. »Noch nicht. Es gibt noch nichts, was ich erzählen könnte . Ob es irgendwann etwas geben wird … keine Ahnung.«
»Hm«, machte Tara. Sie wirkte absolut nicht von der Harmlosigkeit, die Gillian der ganzen Geschichte verleihen wollte, überzeugt, begriff aber wohl, dass sie im Augenblick nicht mehr erfahren würde.
Sie blickte auf ihre Uhr, griff nach ihrer Handtasche und stand auf. »Ich muss leider los. Ich habe noch einen Termin.«
»Schwierig?«
»Es geht.« Sie musterte Gillian eindringlich. »Wirst du hingehen? Am Mittwoch?«
Gillian zuckte mit den Schultern. »Ich weiß noch nicht. Im Zweifelsfalle … könnte ich Tom sagen, dass ich mich mit dir treffe?«
Tara lächelte. Es wirkte ein wenig boshaft. »Klar. Ich gebe dir jederzeit ein Alibi. Sag mir einfach Bescheid.«
Gillian begleitete sie zur Haustür. Sie fragte sich, ob das der erste Schritt zum Betrug war und ob sie ihn eben getan hatte: wenn man die Freundin bat, ein Treffen zu bestätigen, das in Wahrheit nicht stattfand. Weil man stattdessen mit einem anderen Mann ausging.
Draußen war es dunkel. Und kalt. Alle Häuser in der Straße waren weihnachtlich geschmückt, leuchteten und funkelten miteinander um die Wette.
»Wegen Becky«, sagte Tara, »lass dich nicht unterkriegen. Ich bin keine Psychologin, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie auch unter der Situation bei euch leidet. Man spürt sehr deutlich, dass du unglücklich und unzufrieden bist. Sie will das nicht. Kinder wollen fröhliche Mütter.«
»Aber …«
»Aber Mütter können nicht immer fröhlich sein. Und auch damit lernen Kinder zurechtzukommen.«
»Ich hoffe es. Ich glaube, ein wenig Abstand wird uns ganz guttun. Becky fährt nach Weihnachten bis Anfang Januar wieder zu meinen Eltern, und das gibt uns eine Pause voneinander.«
Es war seit Jahren so üblich. Becky war vom 26. Dezember an bei den Großeltern in Norwich. Die Regelung stammte noch aus der Zeit, als Gillian und Tom an Silvesterbällen teilgenommen hatten oder über die Jahreswende selbst verreist waren. Was sie alles schon längst nicht mehr taten.
»Denk nicht nur an sie. Denk auch an dich«, bat Tara. Im Schein der Hauslaterne konnte Gillian das Gesicht der Freundin deutlich erkennen. Sie wirkte aufrichtig besorgt.
Ein Mann ging am Gartenzaun vorbei, schaute nur kurz zu den beiden Frauen hin, ging weiter.
Tara schüttelte den Kopf. »Der schon wieder!«
»Wieso schon wieder?«
»Der lungerte hier schon herum, als ich ankam.«
»Bist du sicher? Es ist immerhin schon dunkel jetzt.«
»Trotzdem. Ich konnte sein Gesicht gerade ganz gut erkennen. Der hing vorhin hier herum.«
Gillian blickte dem Mann nach. »Könnte Samson Segal sein«, meinte sie. Sie traf ihn manchmal, wenn sie ihr Haus verließ, und sie meinte, ihn am Gang zu erkennen. »Der ist nett und harmlos. Wohnt am anderen Ende der Straße.« Und geht in die falschen Kneipen und hat dich mit John Burton gesehen!
»Denk an die vielen Verbrechen, die täglich geschehen«, mahnte Tara. »Es laufen eine Menge durchgeknallter Gestalten auf diesem Planeten herum!«
Gillian musste lachen. »Bei deinem Beruf würde ich das wahrscheinlich auch so sehen.«
»Sei jedenfalls vorsichtig«, bat Tara und schloss die Türen ihres dunkelgrünen Jaguars auf.
Gillian blickte ihr nach, dann zog sie seufzend ihre Winterstiefel an und schlüpfte in ihren Mantel. Sie würde Becky bei ihrer Freundin abholen, auch wenn ihr das wieder den Ärger und die Ablehnung ihrer Tochter einbringen würde. Übertrieb sie es wirklich mit der Fürsorge? In Beckys Augen ganz sicher. Aber die Welt war ein gefährlicher Ort, da hatte Tara recht. Und sie musste es schließlich wissen.
Besser, man ging kein Risiko ein.
Sie machte sich auf den Weg.
DIENSTAG, 8. DEZEMBER
1
Er hatte Würstchen gekauft und ein paar Hundecracker, und es war ihm tatsächlich gelungen, den Hund von seiner normalen Spur abzubringen. Er kannte die Abläufe genau, und er war auch
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