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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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Baby«, sagte Michelle mit weicher Stimme.
    Ich war so kalt, so durchfroren, und ich dachte, du könntest mich jetzt wirklich mal auf einen Kaffee hineinbitten. Natürlich wusste sie nicht, was ich hinter mir hatte, aber schließlich hatte ich ihr »ihr Baby« zurückgebracht! War ihr das nicht einmal einen Kaffee wert?
    Wir standen einander ziemlich verlegen gegenüber, dann sagte Michelle: »Also, nochmals vielen Dank, Mr. …?«
    »Segal. Samson Segal.«
    »Mr. Segal. Ich bin Michelle Brown. Ich bin unendlich erleichtert. Der Tag war furchtbar. Ich sah Jazz schon überfahren oder eingefangen für Tierversuche, ich hatte fürchterliche Bilder vor Augen …«
    »Dann wünsche ich Ihnen beiden jetzt noch einen schönen Abend«, sagte ich und wandte mich zum Gehen. Sie hielt mich nicht zurück.
    Sie rief mir ein weiteres Danke hinterher, als ich am Gartentor war.
    Und das war’s. Als ich mich auf der Straße noch einmal zum Haus umdrehte, war die Tür schon geschlossen.
    Und ich stand da. Frierend. Hungrig. Total erschöpft. Für nichts.
    Das Schlimme ist, dass ich in solchen Situationen immer denke, dass sie nur mir passieren. Dass es an mir liegt, nicht an den anderen. Ich stelle mir vor, Bartek zum Beispiel hätte den Hund abgeliefert. Bartek mit seinen schwarzen Haaren, den tiefdunklen Augen, dem herausfordernden Blick, dem leichten Akzent beim Sprechen. Bartek, der zu großer Form auflaufen kann, wenn er sich einer Frau gegenübersieht. Der witzig sein kann und charmant und dem sofort alle Sympathien zufliegen. Ihn hätte sie hereingebeten. Wahrscheinlich hätten sie mit einem Prosecco auf die glückliche Heimkehr des Hundes angestoßen, vielleicht hätte Michelle sogar ein paar Kerzen angezündet oder den Kamin, falls sie einen hat. Bartek hätte sich nicht wie ein begossener Pudel nach Hause schleppen müssen.
    Natürlich sagt ihr Verhalten eine Menge über Michelle Brown aus. Einem Mann wie Bartek würde sie sich an den Hals werfen, mich wimmelt sie ab wie einen lästigen Vertreter. Als hätte ich versucht, ihr ein Zeitschriftenabonnement anzudrehen. Es sagt etwas über Frauen im Allgemeinen aus. Die meisten von ihnen sind leider ziemlich billig. Eine schwarze Haarsträhne, die gekonnt in die Stirn fällt, ein osteuropäischer Akzent, und schon kann man von ihnen bekommen, was man will. Bartek ist kein schlechter Kerl, aber er ist ziemlich oberflächlich und verfolgt immer nur seine eigenen Interessen. Ich hingegen habe Tiefgang. Ich könnte einer Frau viel mehr Gefühl und Wärme entgegenbringen, als er das tut, aber die Frauen müssten mir eine Chance geben, ihnen das zu beweisen. Auch Mum hat das immer gesagt. Samson ist ein Mann auf den zweiten Blick, hat sie immer gesagt. Mit einem großen Herzen, aber das muss man erst entdecken.
    Aber die Zeit nehmen sich Frauen nicht. Sie sehen einen schüchternen Mann, der leicht errötet und dem keine witzigen Bemerkungen einfallen. Wenn sie hören, dass man arbeitslos ist, dann ist es endgültig vorbei. Frauen sind scharf auf Geld. Michelle bestimmt auch. Sie hat mich taxiert. Sie hat bemerkt, dass meine Kleidung nicht teuer ist und ziemlich abgetragen. Damit war ich erledigt. Gerade gut genug, ihr den Hund einzufangen und zurückzubringen. Aber schon mich nur für einen Moment hineinzubitten, hat sie nicht über sich gebracht.
    Sie ist wie all die anderen. All diese verdammten Frauen, die dir als Mann zeigen, was du bist in ihren Augen: ein Stück Dreck. Ein Niemand.
    Ich glaube, ich hasse Michelle.
    Ich hasse jeden, der mir wehtut.

MITTWOCH, 9. DEZEMBER
    1
    Auch die längste Nacht, dachte Anne, geht irgendwann zu Ende.
    Es war sechs Uhr morgens, als ihre Anspannung endlich nachließ. Noch immer herrschte tiefschwarze Finsternis draußen, und das würde auch für die nächsten zwei Stunden noch so sein, aber Anne war schon immer um sechs Uhr aufgestanden; an den Wochentagen, um in die Praxis zu gehen, an den Wochenenden, um ungestört zwei Stunden lang zu malen, ehe sie das Frühstück zubereitete. Ganz gleich, ob es hell oder dunkel war, für sie begann der Tag um sechs Uhr. Sie war gern wach, während andere noch schliefen. Wobei jetzt, da sie mutterseelenallein in diesem Haus im Wald lebte, das Gefühl, sich in einer wohligen Stille durch eine schlafende Welt zu bewegen, kaum mehr vorhanden war. Die Geräusche, die Stimmen, das Flüstern des Waldes hörten sich in der Nacht anders an als am Tag, und dennoch war es nicht dasselbe, wie auf schweigende, dunkle

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