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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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fürchtete, im Chaos des 24. Dezember keinen Parkplatz zu finden. Wie üblich traute ihm Millie nicht. Inzwischen war sie vollkommen davon überzeugt, dass er nicht auf Arbeitssuche ging, wenn er morgens das Haus verließ, und was immer er in all den Stunden tat, die verstrichen, ehe er abends wieder aufkreuzte – es konnte nichts Gutes sein. Schließlich würde er sonst mit jemandem darüber reden, zumindest mit Gavin, zu dem er ja ein durchaus intaktes Verhältnis hatte. Sie hatte Gavin vor wenigen Tagen darauf angesprochen.
    »Was tut Samson eigentlich den ganzen Tag über?«, fragte sie beiläufig. »Er ist nie daheim, und draußen ist es viel zu kalt, um immerzu spazieren zu gehen.«
    »Er sucht Arbeit«, sagte Gavin. Es klang wie eine Antwort, die man automatisch abgibt, ohne wirklich nachzudenken.
    »Aber Arbeit sucht man doch nicht, indem man durch die Straßen zieht. Man schreibt Bewerbungen!«
    »Vielleicht tut er das. Er sitzt doch stundenlang an seinem Computer.«
    Millie ließ nicht locker. »Aber er müsste dann Antworten per Post bekommen. Zu- oder Absagen …«
    »Vielleicht macht er das alles per E-Mail. Das ist heutzutage doch vorstellbar, oder?«
    »Ja, und wo ist er dann tagsüber?«
    Gavin hatte die Autofachzeitschrift, in der er blätterte, sinken lassen und fast bittend gesagt: »Lass ihn doch einfach in Ruhe, Millie. Du kannst ihn nicht ausstehen, das weiß ich, aber er ist mein Bruder, und er hat dir nichts getan. Du suchst förmlich danach, etwas zu finden, das du ihm ankreiden kannst, und ich glaube, es macht dich verrückt, dass du nichts findest!«
    Sie hatte die Lippen zusammengepresst und gedacht: Ich werde etwas finden. Weil da etwas ist. Verlass dich darauf!
    Jetzt stand sie am Fenster und drückte sich die Nase platt, weil sie ihm schon wieder nicht glaubte, aber er bewegte sich tatsächlich mit einer gewissen Zielstrebigkeit von daheim weg. Geschenke kaufen! Hoffentlich besorgte er nichts für sie, denn sie hatte nichts für ihn. Gavin hatte ein Buch gekauft, das musste reichen.
    Samson war jetzt um die Ecke verschwunden. Millie spürte heftiges Herzklopfen, sagte sich aber, dass die Gelegenheit günstig war. Samson für Stunden unterwegs – im Einkaufszentrum oder wo auch immer. Gavin hatte Dienst bis zum frühen Nachmittag. Ihr selbst war es gelungen, sich von heute an drei Tage Urlaub freizuschaufeln.
    Ich versuche es jetzt einfach noch einmal, dachte sie.
    Auf Zehenspitzen huschte sie die Treppe hinauf, fand sich selbst albern deswegen, denn schließlich war niemand im Haus, dessentwegen sie hätte leise sein müssen, aber aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, möglichst unauffällig und vorsichtig agieren zu müssen. Sie öffnete Samsons Zimmertür und trat ein. Aufgeräumt wie immer. Nirgends ein Staubkorn, die Überdecke des Bettes wieder einmal Kante auf Kante gefaltet.
    Allein das, dachte sie, ist ja schon nicht normal!
    Sie schaltete den Computer ein. Während er hochfuhr, sah sie aus dem Fenster. Sie bekamen nun wirklich eine weiße Weihnacht. Seit dem großen Wintereinbruch am vergangenen Donnerstag, der die ganze Region für Stunden in den Ausnahmezustand versetzt hatte, schneite es immer wieder, und Dächer, Zäune, Bäume und Straßen waren weiß bedeckt. Ein romantisches Bild. Millie mochte Weihnachten. Was sie wieder einmal störte, war die traute Dreisamkeit unter dem Tannenbaum.
    Draußen war niemand zu sehen. Sie wandte sich dem Computer zu, gab das Passwort ein, hielt den Atem an. Wenn Gavin Samson einen Tipp gegeben hatte … Aber offensichtlich hatte er dichtgehalten. Mit dem Zauberwort Hannah öffnete sich der Bildschirm.
    Millie setzte sich, legte die Hand um die Maus. Sekunden später erst merkte sie, dass sie den Atem anhielt. Konzentriert navigierte sie sich durch die Programme.
    »Komm schon, komm schon«, murmelte sie.
    Es gab hier etwas von Belang. Es musste etwas geben. Und sie wollte es unter allen Umständen finden.
    Zehn Minuten später hatte sie es. Die Datei trug den Namen Tagebuch.
    Sie öffnete sie, war geistesgegenwärtig genug, noch einmal zum Fenster zu eilen und hinauszuschauen. Es war niemand zu sehen. Vor unangenehmen Überraschungen konnte sie erst einmal sicher sein.
    Gleich darauf saß sie wieder am Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm. Und las und las.
    Und wusste kurz darauf, dass sich ihre Suche gelohnt hatte.
    Samson war verrückt. Er war wahrscheinlich sogar gefährlich. Dafür hatte sie jetzt den Beweis, und nicht

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