Beobachter
über Anne Westley erzählte, schien es kaum vorstellbar, dass sie in irgendeinem Menschen so viel Hass erzeugt haben sollte, dass sich ein solches Sterben erklären ließ.
»Ich werde ein oder zwei Leute abstellen, die sich im Umfeld des verstorbenen Professor Westley umsehen«, sagte Fielder, als sie unten angekommen waren. »Obwohl ich mir nicht viel davon verspreche. Denn wenn es ein konkreter, persönlicher Racheakt war, der hier verübt wurde, passt Carla Roberts nicht dazu. Wie auch umgekehrt. Es muss uns gelingen, eine Verbindung zwischen den beiden Frauen herzustellen, das ist die einzige Chance.«
Christy berührte ihn leicht am Arm. »Trotzdem, Chef. Jetzt feiern Sie erst einmal schön Weihnachten. Sie haben es verdient.«
Er sah sie an. Fragte sich, wie sie wohl feierte. Sie lebte alleine, in Gesellschaft zweier Katzen, wie er wusste. Hängte sie Strümpfe am Kamin auf? Und wenn ja – wer füllte sie ihr?
Als könnte sie seine Gedanken lesen, fuhr sie fort: »Ichmache es mir jedenfalls morgen gemütlich. Ich glaube, ich bleibe den halben Tag im Bett und stehe immer nur auf, um mir einen neuen Cappuccino zu holen. So richtig schön, mit Schokostreuseln auf dem Milchschaum. Dabei zappe ich mich durch die Fernsehprogramme, lasse mich davon einlullen und denke nicht an irgendwelche abscheulichen Verbrechen!«
Er lächelte und ertappte sich bei der Vorstellung, dass es schön wäre, einen solchen Tag mit ihr zu teilen. Mit Fernsehen und Cappuccino. Im Bett vor allem.
Er flüchtete sich in ein Hüsteln. Er durfte so etwas nicht denken.
»Bei uns ist meine Schwiegermutter zu Besuch«, erklärte er dann deprimiert. »Wie jedes Jahr an Weihnachten.«
»Ist sie schlimm?«
»Ziemlich verwirrt. Und streitsüchtig.«
Christy lachte. »Halten Sie die Ohren steif, Sir. Irgendwie ist Weihnachten ja dann doch immer schnell vorbei.«
»Gehen wir«, sagte Fielder. Das immerhin hatte er in diesem Jahr: eine Wanderung mit Christy durch den Winterwald.
Das war besser als gar nichts.
DIENSTAG, 29. DEZEMBER
1
In der Nacht hatte es wieder geschneit, und am Morgen sah es aus, als wolle die Welt langsam im Schnee untergehen, aber bis zum Nachmittag waren zumindest die Hauptstraßen geräumt. Für den Abend waren weitere Schneefälle angekündigt.
Gillian hatte die Weihnachtstage als schwierig empfunden, jedoch versucht, das Beste daraus zu machen. Sie und Tom wollten eigentlich mit Becky zum Schlittenfahren und Eislaufen gehen, aber bereits am Weihnachtsmorgen hatte ihre Tochter über Halsschmerzen geklagt, und bis zum frühen Nachmittag hatte sie Fieber bekommen. Sie lag zwei Tage lang im Bett und musste auch danach noch im Haus bleiben. Die obligatorische Reise nach Norwich wurde abgesagt, und nachdem Becky zuvor herumgemeckert hatte, weil sie sich für Ferien bei den Großeltern eigentlich zu alt fühlte, fing sie nun an zu weinen wie ein kleines Kind. Ihre Laune sank anschließend auf den Nullpunkt, sodass sich niemand mehr besonders wohl fühlte. Gillian und Tom taten ihr Bestes, kochten abends mit ihr zusammen, entzündeten den Kamin im Wohnzimmer, spielten Karten mit ihr oder schauten sich gottergeben zum wiederholten Male – Tom dabei ständig kopfschüttelnd – Twilight auf DVD an. Die elektrischen Kerzen am Weihnachtsbaum tauchten das Zimmer in ein warmes Licht, während draußen Schnee und Kälte und die tiefe Dunkelheit der Dezembernächte für die perfekte Weihnachtsstimmung sorgten. Es war das Bild einer kleinen, glücklichen Familie auf einer Insel der Wärme und Geborgenheit, und doch wusste Gillian die ganze Zeit über, dass es ein falsches Bild war und dass dies keineswegs nur mit Beckys Erkältung zusammenhing. Tom wollte eigentlich in sein Büro, weil dort noch Arbeit liegen geblieben war. Weihnachten mit seiner Feierlichkeit und seinem Anspruch auf Besinnlichkeit und Ruhe bedeutete für ihn beinahe unerträgliche Stagnation.
Und Gillian sehnte sich … nach John. Sie hatte sich geschworen, ihn nicht mehr wiederzusehen, aber sie vermisste schmerzlich die Gefühle, die er in ihr auslöste. Es lag an der Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte. An der Bewunderung. Die meisten Menschen wären dafür anfällig gewesen; das sagte sie sich, um ihr Gewissen zu beschwichtigen. Seit sie ihn getroffen hatte, fühlte sie sich stärker und sicherer. Und das war es, wonach sie sich vor allem anderen sehnte: nach der Sicherheit, die er ihr gab.
Sie hatte lange mit Tara telefoniert, gleich am Tag, nachdem sie
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