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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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bekommen. Auf der Heimfahrt war ihr der Gedanke gekommen, dass er vielleicht bei Tara angerufen und dabei bereits herausgefunden hatte, dass er belogen worden war. Gillian hatte sich diesmal nicht abgesichert, und möglicherweise war Tara in Verlegenheit geraten. Hol mir doch mal Gillian ans Telefon, hatte Tom wahrscheinlich gesagt, und genau diesem Wunsch hatte Tara nicht nachkommen können.
    Aber sie hätte mich angerufen und gewarnt, dachte Gillian. Irgendetwas passt dabei auch nicht zusammen.
    Und würde Tom bei Tara anrufen? Hatte er überhaupt ihre Nummer? Wäre es nicht naheliegender, es über das Handy seiner Frau zu versuchen?
    Sie beschleunigte ihre Schritte. Das ungute Gefühl verstärkte sich. Es schneite in dicken Flocken.
    Sie schloss die Haustür auf. Auch der Eingangsflur war hell erleuchtet.
    »Hallo?«, rief sie halblaut.
    Niemand antwortete.
    Er sitzt im Wohnzimmer, hat sich ein paar Schnäpse reingekippt und macht mir jetzt gleich eine furchtbare Szene, dachte sie unbehaglich.
    »Tom? Bist du da?«
    Immer noch erhielt sie keine Antwort. Sie spähte ins Wohnzimmer. Es war leer. Sie hängte ihren Mantel an die Garderobe, zog ihre Stiefel aus. Auf Strümpfen ging sie in die Küche. Die Gartentür stand offen. Es war eiskalt im Raum. Auf der Arbeitsplatte stand ein Teller mit belegten Broten, daneben lagen ein Messer und eine aufgeschnittene Tomate. Eine noch verschlossene Flasche Weißwein wartete neben der Spüle, der Öffner befand sich in griffbereiter Nähe. Es sah aus, als sei Tom dabei gewesen, für sich und Becky ein Abendessen vorzubereiten und als sei er dabei völlig unerwartet unterbrochen worden. Und dann hatte niemand etwas gegessen und getrunken. Hatte er plötzlich beschlossen, alles stehen und liegen zu lassen und im Club zu essen? Und Becky mitzunehmen? Die dafür eigentlich noch zu krank war.
    Wieso ließ er dann alle Lichter brennen? Wieso ließ er die Tür zum Garten offen?
    Gillian verließ die Küche und betrat das daneben liegende Esszimmer.
    Sie sah die Gestalt, die zusammengebrochen halb auf einem der Stühle am Tisch und halb auf dem Fußboden lag.
    Sie sah, dass es Tom war. Es war Tom, der über dem Stuhl lag, das Gesicht auf das Sitzkissen gedrückt, die Beine auf eine unnatürliche Art von sich gespreizt.
    Sie bewegte sich wie in Zeitlupe auf ihn zu.
    Ein Infarkt. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Während er das Abendessen zubereitete. War gerade im Esszimmer gewesen, vielleicht um Feuer im Kamin zu machen oder ein Tischtuch aufzulegen, und war zusammengebrochen.
    Sie hatte es immer gewusst. In geradezu selbstmörderischer Gradlinigkeit war er auf genau dieses Schicksal zugesteuert, und mit ihren Warnungen und Vorhaltungen hatte sie ihn nicht erreichen können.
    Ein würgender Laut kam aus ihrer Kehle. Großer Gott, warum gerade so? Sie fuhr los, um sich mit ihrem Liebhaber zu treffen, und Tom erlitt ein schreckliches Schicksal. Alleine. Ohne Hilfe. Auf sich gestellt und doch nicht mehr fähig, sich selbst zu helfen.
    Wo war Becky?
    Sie schob sich am Tisch vorbei und beugte sich über Tom.
    Lieber Gott, lass ihn noch leben.
    Vorsichtig versuchte sie, ihn umzudrehen und ihn dabei sacht auf den Teppich hinuntergleiten zu lassen. Er war erstaunlich schwer, fast zu schwer für sie.
    »Tom«, wisperte sie, verzweifelt und entsetzt, fassungslos. »Tom, bitte sag etwas. Tom! Ich bin es. Gillian. Tom, bitte dreh dich um!«
    Sie legte die Hand auf seinen Kopf, tastete mit den Fingern zum Gesicht hin. Hatte plötzlich nasse Finger, zog sie zurück und betrachtete sie ungläubig. Sank auf die Knie.
    Ihre ganze Hand war voller Blut.
    Ihr Gehirn bemühte sich krampfhaft, eine Abfolge logischer Gedanken zu produzieren, aber es bewegte sich dabei mit einer Schwerfälligkeit, die Gillian noch nie zuvor erlebt hatte. Als wollte ihr Kopf nicht zu der Schlussfolgerung gelangen, die sich am Ende ergeben musste.
    Er konnte sich den Kopf kaum an dem Kissen verletzt haben, in das sich sein Gesicht presste. Er war vorher aufgeschlagen, hatte sich wieder hochgerappelt, hatte es bis zum Tisch geschafft, dort hatten seine Beine versagt … Irgendwo musste Blut im Zimmer sein, am Kaminsims vielleicht oder am Türpfosten. Sie sah sich hektisch um. Konnte die Stelle, an der er aufgeschlagen sein musste, nicht entdecken.
    Wo war Becky?
    Becky musste doch gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Irgendwann musste sie hinuntergegangen sein und nachgesehen haben, weshalb ihr Vater sie nicht zum

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