Beobachter
bei John gewesen war. Tara hatte die Affäre mit keinem Wort verurteilt, aber Gillian konnte doch zwischen den Zeilen heraushören, dass die Freundin in der Beziehung zu einem anderen Mann nicht die Lösung von Gillians Problemen sah. Und vielleicht hatte sie damit recht.
Zwei Tage vor Silvester beschloss sie, John aufzusuchen. Sie würde nicht wieder mit ihm ins Bett gehen, aber sie wollte ihn sehen. Einfach nur sehen.
Sie sagte Tom, dass sie Tara besuchen wollte. Er reagierte etwas unwirsch. »Schon wieder! Du hast sie doch gerade erst vor Weihnachten gesehen.«
»Vor drei Wochen! Du kannst wirklich nicht behaupten, dass wir uns sehr oft treffen.«
»Ich wollte eigentlich für ein paar Stunden ins Büro …«
»Becky hat immer noch leichtes Fieber. Ich möchte nicht, dass sie allein bleibt.«
Tom seufzte. »Wenn nur nicht so viel Arbeit warten würde. Jetzt ist eine gute Zeit, Liegengebliebenes zu erledigen.«
»Nur heute, Tom. Schenk mir diesen Nachmittag. Bitte. Falls Becky kein Fieber mehr hat, fahren wir dann morgen gemeinsam nach London und arbeiten den ganzen Tag. Okay?«
»Meinetwegen. Aber sei bitte um sieben Uhr hier, du weißt …«
Sie unterbrach ihn. »Ich weiß. Glaub nicht, dass ich das jemals vergesse. Dienstag. Clubabend!«
Er schien etwas erwidern zu wollen, schluckte es dann aber hinunter. Presste stattdessen die Lippen zusammen. So sah sie ihn, als sie zur Garage ging: mit zusammengepressten Lippen in der Haustür stehend.
Sie kam gegen vier Uhr vor Johns Haus in Paddington an, fand sogar einen Parkplatz in annehmbarer Nähe. Sie klingelte an der Eingangstür, aber nichts rührte sich. Sie klingelte noch einmal, trat einen Schritt zurück, blickte an der Fassade hinauf. Hinter den Fenstern, die zu Johns Wohnung gehörten, lag Dunkelheit. Er schien tatsächlich nicht daheim zu sein.
Sie war ein Idiot. Hatte die Möglichkeit einfach nicht einkalkuliert, dass er vielleicht nicht zu Hause war. Was hatte sie geglaubt? Dass er seit ihrem letzten Besuch Mitte Dezember regungslos in der Wohnung saß, auf ihren Anruf oder ihren Besuch wartete und sich vorsichtshalber nicht fortbewegte, für den Fall, dass sie plötzlich aufkreuzte? Es musste an der Ferien- und Feiertagsstimmung liegen, die sich in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ausbreitete, die aber trügerisch war. Gebäude mussten auch in diesen Tagen, vielleicht geradein diesen Tagen bewacht werden, und John führte einen Wachdienst. Er war ganz schlicht an diesem normalen Dienstagnachmittag bei seiner Arbeit. Und sie hatte sich die Stunden gestohlen, hatte Tom belogen und war hierhergefahren, alles umsonst.
Langsam ging sie zu ihrem Auto zurück. Es war ihr ein unerträglicher Gedanke, einfach zurückzufahren und den Rest des Tages einmal mehr im heimischen Wohnzimmer mit Christbaum zu verbringen. Ein wenig Zeit blieb ihr noch. Von ihrem Parkplatz aus hatte sie den Eingang zu Johns Haus im Blick.
Sie setzte sich ins Auto, vergrub sich tief in ihren Mantel, versuchte die Kälte, die ihr langsam in alle Knochen kroch, zu ignorieren. Es wurde rasch dunkel draußen, in vielen Wohnungen gingen die Lichter an, etliche Fenster waren mit Kerzen oder Leuchtsternen geschmückt. Selbst diese eher trostlose, graue Straße bekam eine heimelige Anmutung.
Sie fragte sich, ob sich ein Leben mit John anders anfühlen würde als das Leben mit Tom. Ob es sich dauerhaft anders anfühlen würde. In dieser Straße. In der kaum eingerichteten Wohnung. Warum legte ein Mann einfach eine Matratze zum Schlafen auf den Boden und nagelte im Flur einen Haken an die Wand, an den er seine Mäntel hängte? Warum diese völlig reduzierte Form? Und keine Frau in seinem Leben, keine Kinder. Nichts davon auch in seiner Vergangenheit. Affären, aber nichts Verbindliches.
Wieder schaute sie zu seinen dunklen Fenstern hoch. Er ließ sich auf nichts ein. Nicht auf eine Ehe, nicht auf eine Lebenspartnerschaft. Nicht einmal auf anständige Möbel, die ihm möglicherweise das Gefühl gegeben hätten, sich zumindest dauerhaft in einer Wohnung einzurichten. So, wie er lebte, konnte er zu jeder Sekunde aufstehen und gehen. Auf einem Schiff anheuern und um die Welt segeln. Nach Australien auswandern und eine Straußenfarm eröffnen. Touristen durch kanadische Naturschutzparks führen.
Sie lächelte, weil ihr aufging, welch verrückte Varianten sie sich für ihn ausdachte, aber ihr Lächeln war mühsam und nicht ganz echt, weil sie wusste, ihre Ideen waren nicht so weit
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