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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Tausende von Kilometern von dem Salon in London entfernt, konnte er ihren zitternden Blick heraufbeschwören, der, wenn er der Klang eines Musikinstruments wäre, dem tiefsten Ton einer Geige gliche.
    10 Sadie hielt, was sie versprochen hatte. Am nächsten Morgen führte sie Quinn durch Schluchten und ein zähes Gewirr von Akaziensträuchern und Grevilleen zu seinem Elternhaus.
    Es dauerte über eine Stunde, und als sie am zerklüfteten Rand des Grundstücks ankamen, fragte sich Quinn, wie er zur Hütte zurückfinden sollte.
    Sadie schlang ein Stück blaue Wolle mehrmals um den untersten Ast eines großen Blutholzbaums. »Triff mich unter diesem Baum«, sagte sie, als könnte sie seine Gedanken lesen. »In ungefähr einer Stunde werde ich wieder hier sein, dann gehen wir zusammen zur Hütte zurück. So ist es sicherer. Ich versuche jetzt, was zu essen für uns zu finden.«
    »Moment.« Er war sich immer noch nicht im Klaren, warum er sich entschieden hatte, diesem seltsamen Mädchen zu trauen. »Was ist mit Robert Dalton?«
    Sie wedelte sich eine Fliege aus dem Gesicht. »Ich passe schon auf. Der erwischt mich nicht. Er ist ein hoffnungsloser Fall. Denk dran, in einer Stunde.« Dann huschte sie davon wie ein Kobold und verschwand im Unterholz, bevor er noch etwas sagen konnte.
    Seine Mutter schlief, als Quinn, die Faust wieder voller Lavendel, ihr Zimmer betrat. Ihr Gesicht war schweißnass. Als sie die Augen aufschlug, gab sie irgendwas Unverständliches von sich und sagte dann keuchend: »Mein armer verlorener Sohn. Richtig schick in der Uniform.«
    Quinn strich schuljungenhaft seine Jacke glatt. Die Uniform kam ihm hier steif und plump vor, sinnlos. Er musste Zivilkleidung auftreiben und sich vom Gestank des Krieges befreien.
    Seine Mutter sah ihn lange an. »Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich mich genug nach dir sehne, ob ich dich hervorzaubern könnte wie ein Magier seine Tücher und Kaninchen. Kannst du dich noch an diesen Houdini erinnern, von dem wir immer gelesen haben? Natürlich ein törichter Gedanke, auch wenn du jetzt tatsächlich hier bist , und ich schwöre, ich hab ein kleines Mädchen durch den Flur gehen sehen – erzähl das bloß keinem, sonst hält man mich für verrückt. Fieber hat vielleicht auch seine Vorteile. Es gibt Gründe, seinen Gram zu lieben, wie es ein klügerer Mensch mal gesagt hat. Was meinst du, Quinn?«
    »Wozu?«
    »Hältst du es für möglich, jemanden mit seiner Vorstellungskraft ins Leben zu rufen? Allein mit Liebe?«
    Das war eine gute Frage. Quinn konnte sie nicht beantworten. Seine Mutter streckte die Hand aus, und er begriff, dass sie ihn berühren wollte wie bei seinem ersten Besuch, um sich zu vergewissern, dass er körperlich anwesend und kein von ihrem Kummer heraufbeschworener Engel oder Geist war.
    Sie leckte sich die Lippen. »Ich habe gehofft, dass wir uns wiedersehen würden, aber ich habe nie geglaubt, es würde in diesem Leben geschehen.«
    Auch Quinn hatte unzählige Male über diese Begegnung nachgedacht und sich Sorgen gemacht über die eventuelle Reaktion seiner Mutter auf die Nachricht, dass in Wirklichkeit ihr eigener Bruder Sarah umgebracht hatte. Voll Bitterkeit dachte er daran, was sie bei seinem ersten Besuch gesagt hatte: Robert war meine Rettung . Und da begriff er, dass er ihr auf keinen Fall erzählen durfte, was er damals gesehen hatte, denn das wäre ihr sicherer Tod. Es musste ihr genügen zu wissen, dass Quinn es nicht war.
    »Nicht mal mein Erstgeborener ist in meiner Nähe«, sagte seine Mutter. »William ist Farmer geworden. Verheiratet. Nach allem, was passiert ist, konnte er nicht hierbleiben. Es hat ihn abgrundtief getroffen. Er schreibt mir manchmal, aber nicht oft. Er hat jetzt ein neues Leben.«
    Es fiel ihm schwer, sich seinen Bruder als verheirateten Mann vorzustellen. William hatte sich schon immer lieber mit Dingen als mit Menschen beschäftigt und hatte zu den Jungen gehört, die man nur selten ohne Hammer oder Schraubenzieher in der Hand antraf. Er hatte Vogelhäuschen gebaut, die an den Ästen der Bäume hingen, und kleine Figuren aus Holz geschnitzt, alle mit schartigen Augen und Mündern, die er mit seinem Messer ausgekratzt hatte. Als Sarah ein paar Jahre alt war, hatten die beiden Brüder um ihre Zuneigung gekämpft wie bei einem Haustier, doch William hatte sich bald in die Vorhersagbarkeit von Draht und Maschinen zurückgezogen. Er ging dazu über, an einen Zaunpfahl gelehnt, Quinn und Sarah unter einem blonden

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