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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Stimme musste er über ihr ernstes Geträller lächeln. Sie hatte ihm erzählt, die Donovans besäßen ein Grammofon, und wenn sie es sonntagabends aufzögen, verstecke sie sich manchmal in dem Rosenstock unter ihrem Fenster. Der Gedanke, dass sie sich bei fremden Leuten an die Hauswand drückte, zerriss ihm das Herz.
    What’s the use of worrying?
    It never was worthwhile, so
    Pack up your troubles in your old kitbag
    And smile, smile, smile
    Ihr Gesang ging in ein ausgelassenes Summen über, und dann nahm sie die nächste Strophe in Angriff. Sie hatte offenkundig nicht auf den Text geachtet.
    Private Perks he went a-marching into Flanders
    With his smile
    His funny smile …
    Sie hielt inne, und es folgte ein anfangs schwaches Geräusch, das so klang, als würde eine gut beschuhte Mäusefamilie ein kurzes Stück über die Dielen trippeln. Verblüfft setzte Quinn sich auf. Sadie summte wieder und ließ ein paar halb gesungene Worte folgen. Er steckte sich den Finger ins Ohr. Seine Schwerhörigkeit hatte sich noch nicht gebessert. Er stand auf und ging zu der Tür ins Nebenzimmer.
    Obwohl ihm Sadie den Rücken zukehrte und in ihre Beschäftigung vertieft zu sein schien, spürte sie vermutlich, dass er dastand. Sie spürte es immer.
    Sie warf etwas auf den Boden und drehte sich lächelnd zu ihm um. »Willst du mitspielen?«
    »Wobei?«
    Lachend entblößte sie die Zähne, die funkelten wie ein Messer, das hinter ihren Lippen steckte. »Du weißt schon.«
    Ihm wurde übel. Seine Hände waren ganz feucht.
    Sadie hob mehrere Gegenstände vom Boden auf und streckte die Hand aus. Darauf lagen fünf, sechs klobige Knochen, Rückenwirbel eines Schafs. »Natürlich Knöchelchen!«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das Spiel kenne ich nicht.«
    »Doch.«
    »Nein. Ich kenn’s nicht.«
    »Doch, ganz bestimmt.«
    »Woher willst du das wissen?« Sein Ton war aggressiver als beabsichtigt, was er sofort bereute.
    Unverdrossen führte sie es ihm vor. »Jeder kennt dieses Spiel. Es ist weit verbreitet. Man wirft sie hin, dann hebt man sie auf, einen nach dem anderen. So hier. Dann hochwerfen und fangen. Oh. So hier. Wahrscheinlich hast du’s bloß vergessen. Dann den da. So … und den . Dann … auf den Handrücken. Kannst du dich jetzt erinnern?«
    Quinn schaute zu, als sie es ihm noch mal zeigte. Sie warf das halbe Dutzend Knochen in die Luft und fing zwei mit dem Handrücken auf. Diese beiden warf sie wieder in die Luft und fing sie auf der Handfläche. Es ging darum, die bereits gefangenen Knochen in die Luft zu werfen und möglichst viele andere aufzuheben, bevor man sie wieder fing. Er wusste, dass es, je nachdem, wie geschickt man war, kompliziertere Varianten gab: Pferd im Stall, Hindernisrennen, Nadeleinfädeln.
    Quinn spürte, wie er zur Tür hineingezogen wurde, als hätte sich das Zimmer, ja das ganze Haus, auf seinen kärglichen Fundamenten verschoben, um ihn an einen anderen Platz zu befördern. Ein flackerndes Spiel des Lichts, und schon kniete er schwer atmend neben ihr. Sie nahm seine Hand, die er ihr ohne Widerspruch überließ. Ihre Hand war weich und feucht wie Brotteig, und ihre Fingernägel waren bis zum Fleisch abgekaut.
    Sie plapperte noch eine Weile weiter und sagte, wie schön es wäre, wenn sie zusammen spielen könnten. »Es vertreibt die Zeit und ist eine gute Übung. Es wird schon seit Tausenden von Jahren gespielt.«
    Er betrachtete sie, während sie sprach. Ihre Lippen waren aufgesprungen, und an ihrer linken Wange prangte ein Leberfleck, der ihm vorher nicht aufgefallen war. »Wer bist du?«, fragte er mit zitternder Stimme.
    Sadie lachte und überprüfte die Knochen. »Das hab ich dir doch gesagt.«
    Quinn spürte die intensive Wärme ihres Schenkels neben seinem eigenen. Er hustete in seine Hand. Er war verwirrt, aufgeregt. »Nein. Wer bist du wirklich?«
    Sie sah ihn an, als hätte er sie bei irgendeinem Unfug ertappt, doch plötzlich war ihr Mund – ihr ganzes Gesicht – ein einziges Grinsen.
    »Ich bin ein kleiner Taugenichts.«
    »Was?«
    Sadie wurde wieder ernst, stemmte sich hoch und schlang eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich bin Sadie Fox. Das ist alles.«
    »Wo ist deine Familie, Miss Sadie Fox?«
    Sie strich ihr Kleid glatt, das mit Schmutz, Essen und getrocknetem Hühnerblut bespritzt war. »An der Seuche gestorben. Das hab ich dir auch schon erzählt. An der Beulenpest, oder wie sie heißt. Meine Mutter ist daran gestorben, und mein Vater ist schon vor meiner Geburt abgehauen.

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