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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Mein Bruder hat für uns gesorgt, und als er in den Krieg zog, hab ich das übernommen. Aber er ist bald wieder da, und im Gegensatz zu dir weiß er, was zu tun ist. Er wird mir helfen.«
    Quinn überhörte ihren Spott. »Weiß Thomas vom Tod deiner Mutter?«
    Sie fixierte ihn mit ihren dunklen Augen und murmelte irgendwas vor sich hin.
    »Was?«
    Sie hob ganz leicht das Kinn, um ihre plötzliche Verachtung für ihn zum Ausdruck zu bringen. »Wenn du mir nicht helfen kannst, warum gehst du dann nicht?«
    »Nein, ich …«
    »Du weißt doch, was er ihr angetan hat.«
    »Was? Wer?« Quinn drehte sich mit widerspenstigen Fingern eine Zigarette. Die Stimmung im Zimmer war umgeschlagen, wie festgezurrt. Die Gaslampe fauchte.
    »Ist dir denn völlig egal, was mit Sarah passiert ist?«, beharrte sie, als er nicht antwortete.
    Er warf die Zigarette auf den Boden. »Natürlich nicht. Sie war meine Schwester.«
    »Du kannst dich nicht ewig hier oben verstecken. Die kriegen dich, sie kriegen uns.«
    »Du bist verrückt.«
    »Und du bist ein Angsthase.«
    Er ignorierte sie und hob seine schlecht gedrehte Zigarette vom Boden auf. Er zündete sie an. Der Rauch kratzte im Hals, wirkte aber dennoch beruhigend.
    Ohne sich vom Fleck zu rühren, hob Sadie das linke Bein und zog Splitter aus ihrer schmutzigen Fußsohle, die vom Barfußgehen schon lange in ihrem Fleisch steckten. Sie streifte sich das Haar aus dem Gesicht. »Er hat sie nach Wilson’s Point gebracht«, sagte sie mit eintöniger Stimme, »weißt du, wo dieser alte Schuppen ist?«
    »Klar weiß ich das. Ich hab dir doch gesagt, ich habe sie gefunden.« Er zog wieder an seiner Zigarette und spürte, wie sein Herz in der geblähten Brust Schlagseite bekam. Er wünschte, das Mädchen würde die Klappe halten; sie redete ohne Unterlass.
    »Sie war allein, weil du auf sie aufpassen solltest. Sie war noch jung. Hatte sie Angst vorm Donner? Vor Gewittern? Vielleicht hat dein Onkel gesagt, er würde sie an einen sicheren Ort bringen, und sie ist mitgegangen?«
    Quinn stand auf und schüttelte sein eingeschlafenes linkes Bein aus. Er durchquerte das schummrige Zimmer im Halbschatten des Laternenlichts. An der Wand hing ein zerknitterter Druck, kaum größer als eine Ansichtskarte. Es war das Aquarell einer grünen, lieblichen englischen Landschaft, mitsamt Kühen und Schafen, einem rotgesichtigen Bauern, der einen Acker pflügte. Der blaue Himmel war mit Schäfchenwolken gesprenkelt, und wenn Quinn blinzelte, konnte er die Szene im flackernden Gaslicht zum Leben erwecken – er konnte den Bauern voranstapfen sehen, hörte das Zwitschern der Vögel, atmete den lehmigen Geruch der Erde ein. Das Ganze sah friedlich aus, Tausende von Kilometern entfernt.
    »Vielleicht haben sie irgendwas gespielt«, sagte Sadie. »Du weißt ja, wie gern sie spielte. Aber dann hat er sie gezwungen, sich auszuziehen, und sie versuchte abzuhauen.«
    Quinn stürmte durchs Zimmer, bis er direkt vor ihr stand. Am liebsten hätte er sie geschlagen, sie fest geschlagen, doch stattdessen warf er die Zigarette auf den Boden und steckte die Hände tief in die Taschen. »Halt verdammt noch mal die Klappe!«
    Sadie sagte nichts, doch sie wirkte selbstgefällig. Sie spielte mit einem Zweig herum, bog ihn hin und her.
    »Woher willst du das wissen?«, zischte er. »Damals warst du ja nicht mal auf der Welt.«
    »Doch.«
    »Gerade mal so.«
    Sie ließ sich gegen den Türrahmen sinken. »Ich hab’s dir doch gesagt. Es gibt Dinge, die ich weiß. Ich höre Geschichten. Ich weiß von den Mimi-Geistern, die in den Felsen wohnen, weiß, dass es einen Wind gibt, der Mistral heißt und die Menschen wahnsinnig macht. Weiß von der Spinne, die pfeifen kann. Weiß, dass dein Vater dich bei ihr gefunden hat. Ich weiß seltsame Dinge. Es gibt eine Pflanze, die schreit, wenn man sie aus der Erde zieht, die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen, der erste Mensch, der fünfzehn Kilometer in einem Flugzeug zurücklegte, war Delagrange am 22 . Juni 1908 in Mailand.«
    »Das ist keine Antwort.«
    Sadie zuckte mit den Schultern, völlig außer Atem nach ihrem Gefühlsausbruch.
    Quinn trat noch näher an sie heran. Er nahm ihren bitteren Geruch wahr. Ihr Hals war schmutzig. »Wer zum Teufel bist du?«
    »Sie wehrte sich heftiger als die anderen Mädchen, die er umgebracht hatte. Alice Gunn und das davor. Vor einer halben Ewigkeit. Deshalb musste er bei deiner Schwester das Messer benutzen.«
    »Halt die Klappe.«
    Sadie blieb

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