Beraubt: Roman
Vögel und so weiter, Kaninchen und Grillen.« Sie schwelgte in dieser Erinnerung. »Ich habe gebetet, dass wir dort hinkommen.«
Quinn hatte sie tatsächlich nachts daknien sehen, ihre schmalen Hände an die knochige Brust gelegt, eine blasse, ernste Gottesanbeterin im Mondschein.
»Du könntest mitkommen nach Kensington Gardens«, sagte sie. »Mit mir und Thomas. Wir drei. Du würdest Thomas mögen, alle mögen ihn. Er ist sehr witzig.«
Insektenschwärme schwirrten im heißen, zitternden Licht der Abenddämmerung. Sie legte den Arm um seine Schultern. Ein trockener Wind peitschte ihr feuchtes Haar, und in jenem Augenblick sah sie aus wie ein Mädchen unter Wasser, das, das ganze Gesicht mit Algen bedeckt, geduldig den Atem anhielt.
Die Dunkelheit überschwemmte das Land. Quinn sammelte Holz und zündete in der Höhle ein Feuer an. Mit Sadies Messer zerstückelten sie das Lamm und brieten Fleischstücke über dem Feuer. Sie sagte, er müsse so viel wie möglich von dem Lamm essen, das werde ihnen helfen herauszufinden, wann der Fährtensucher zurückkehre. Er glaubte ihr nicht, war aber hungrig und freute sich, das verkohlte Fleisch verzehren zu können. Danach lagen sie auf dem welligen Boden der Höhle, beobachteten, wie der Feuerschein die steinalten Hände und Tierzeichnungen der Aborigines mit Leben erfüllte, und plötzlich hatte Quinn das Gefühl, als hätte sich, ohne dass er es bemerkt hatte, ein Fünkchen Glück in seinem Herzen eingenistet.
Mitten in der Nacht hörte er in dem Feldbett neben sich Fletcher Wakefields schweren Atem. Auch er hatte in Pozières Gas abbekommen. Ein Strahl schwefligen Lichts fiel durchs Fenster auf sein eigenes Bett. Die Fensterscheibe schimmerte vom Regen. Im Schlafsaal roch es nach Karbolsäure. Ringsum lagen zehn weitere Soldaten im Halbdunkel, und ihre schlummernden Schemen beruhigten ihn. Es waren größtenteils gute Männer. Wen der Krieg nicht zugrunde richtete, den machte er umgänglich. Wer ein einziges Unglück überlebte, lernte daraus, dass man nicht alle überleben kann, und dieses Wissen war zugleich eine Freiheit und ein großer Verlust. Doch jetzt, wo sie den Krieg überstanden hatten, lagen viele wie Quinn nachts wach, von der Angst entbunden, die sie so lange aufrechterhalten hatte. Am anderen Ende des Raums glühte eine Zigarette auf und verglomm, glühte auf und verglomm.
Er dachte an das Mädchen, und nach einer halben Stunde der Unentschlossenheit rollte er sich auf die Seite. »Fletcher«, zischte er. »Fletcher .«
Fletcher erwachte, war aber ziemlich verärgert. Sein dünnes Kissen fiel auf den Boden. »Was denn?«
»Wir müssen noch mal zurück.«
»Was? Wohin denn? Herrgott, Meek. Wovon redest du?«
»Von dem Mädchen.«
»Welchem Mädchen?«
»Dem Cranshaw-Mädchen.«
»Meine Güte.« Benommen stützte sich Fletcher auf den Ellbogen. »Du meinst Margaret? Hat sie … Hat sie dir irgendwas gesagt?«
Jemand zischte ihnen aus dem Dunkeln zu, dass sie still sein sollten.
»Was hat sie gesagt?«
Quinn drehte sich wieder auf den Rücken und starrte die Decke an.
»Also. Was ist passiert? Quinn? Mein Gott, du kannst mich nicht einfach wecken und dann keinen Piep mehr sagen …«
Am liebsten hätte er Fletcher von dem Zettel erzählt und ihm vorgeschlagen, noch mal zurückzukehren und Margaret aus den Fängen der habgierigen Mrs. Cranshaw zu befreien, denn das wäre eine anständige Tat gewesen, mit der sie sich gegen die dunklen Gezeiten des Jahrhunderts hätten wappnen können. Vielleicht könnten sie das brauchen, wenn man bedachte, wie viele Männer sie mit ihren Kugeln und Granaten wahrscheinlich getötet hatten. Doch stattdessen hatte er Fletchers Bitten ignoriert, und Fletcher hatte sich empört umgedreht und nichts mehr gesagt. Wie sollte man so was auch erklären? Und Quinn lag da, bis die fahle englische Morgendämmerung in den Raum sickerte.
Er erwachte jäh aus seinem Traum. Seine Haut war schweißnass, und er suchte irgendwas, woran er sich orientieren konnte. Der Gestank von Innereien stieg ihm in die Nase; ein Steinchen drückte sich in seine Wange. Das war es. Die Glut des Feuers, wie eine brennende Stadt aus großer Entfernung gesehen. Er hustete. Ein Schmerz ergriff seine Eingeweide. Plötzlich war jemand neben ihm. Sadie. Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte beruhigende Worte. Ihr Körper war ohne Arglist, nur Atem und Knochen, das Geäst ihrer Gliedmaßen. An der Stelle, wo sich ihre Handwurzel an die Haut
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