Bereue - Psychothriller (German Edition)
er sein iPhone aus der Hemdtasche. Er schaltete es an, ignorierte sämtliche Mitteilungen über Sprachnachrichten, E-Mails und SMS’ und steckte es in die Halterung für die Fre isprechanlage. Das Möbelhaus öffnete bald, es wurde Zeit, dass er verschwand. Er lenkte den Wagen auf die Straße. Die Scheibenwischer verschmierten die vom Tau aufgeweichten Fliegeninnereien.
Richard lebte nicht weit von hier mit seiner Frau und den beiden Kindern. Inzwischen musste er zurück sein von seinem Kongress in London.
Nach dem dritten Klingeln meldete sich sein jüngerer Bruder. “Was willst du?”
“Richard! Wie geht es dir?”
“Wenn du mit deinen Problemen zu mir kommen willst, vergiss es.”
Ben lenkte den Wagen an den Straßenrand und hielt. Er durfte keinen Unfall riskieren. “Richard, bitte. Ich brauche dich. Hast du mit den Eltern geredet?”
“Vater hat mich angerufen und erzählt, dass du gestern Abend um Hilfe gehechelt hast wie ein Straßenköter um Futter.” Ein verächtliches Lachen drang durch den Hörer. “Das hätte ich gerne gesehen. Mein ach so toller großer Bruder winselt um Hilfe.”
Ben stützte seinen Kopf in die Hand. “Hör mir bitte zu. Da ist ein Verrückter, der mir das alles antut. Der will mich in den Selbstmord treiben!” Seine Stimme war zu schrill und er hasste sich dafür.
Ein Schnauben drang durch den Hörer. “Ja klar.”
“Du musst mir glauben!” Sein Herz schlug wie ein Dampfhammer gegen das Brustbein.
“Ich muss gar nichts. Mein Leben lang stehe ich in deinem übergroßen Schatten. Denkst du, ich bin dir was schuldig? Und wie dir Vater schon gesagt hat: Selbst wenn dich jemand in die Pfanne hauen sollte, wird derjenige seine Gründe haben. Denk mal darüber nach, wem du alles geschadet hast.” Mit einem Knacken brach die Verbindung ab.
“Nein!”, schrie Ben und riss die Tür auf. Hupend zischte ein Wagen nur Zentimeter entfernt vorbei. Erschrocken zog er die Tür zu.
Stöhnend lehnte er sich zurück. Als Kinder hatten sie sich gut verstanden, Richard und er. Sicher war er nicht immer nett zu ihm gewesen, zu sehr hatte der Kleine genervt, wollte mitkommen, wenn Ben sich Freunden traf. Es musste in ihren Teenagerjahren gewesen sein, als es zum Bruch gekommen war. Richard hatte sich von ihm abgewandt, und er selbst hatte kein Interesse am kleinen Bruder gehabt. Die letzten zwanzig Jahre hatten sie nur wenige höfliche Floskeln bei Familientreffen gewechselt. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er gelegentlich blöde Bemerkungen wegen Richards Arbeit gemacht. Aber dass er ihn so hasste, hatte er nicht geahnt. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sich darüber nie Gedanken gemacht hatte.
Auf den Verkehr konzentriert fuhr er auf einen Supermarktparkplatz und griff nach seinem Sakko auf dem Rücksitz. Raus hier. Er brauchte frische Luft.
Da er nicht wusste, wo er war, überließ er die Richtung seinem Unterbewusstsein und marschierte los.
Den Blick auf das unregelmäßige Muster des Pflasters gerichtet, ging er im Schatten der Häuser. Sein Kopf war leer. Passanten rempelten ihn an. Er rammte die Hände in die Hosentaschen und versteifte seine Schultermuskeln.
Eine winzige alte Frau kam ihm entgegen, am Halsband ein noch winzigerer Hund. Die Leine straffte sich, das Tier wollte rechts von ihm vorbei, die Frau hatte sich für die linke Seite entschieden.
Er blieb stehen und starrte die Frau an.
Ein Blick aus wasserleichenblauen Augen traf ihn. “Berni, geh her!” Sie zerrte an der Leine. Die eingespreizten Pfoten des Hundes schleiften über den Boden. Mit einem leisen “Entschuldigung” hob sie das Tier auf den Arm.
Er nickte und setzte seinen Weg fort.
An einem Zeitungskasten blieb er stehen. Sein Bild prangte auf der Titelseite. Das Foto musste vor dem Haupteingang von Vita Canin aufgenommen worden sein. Gestern, als er die Firma verlassen hatte, als gebrochener Mann.
Münchner Topmanager am Ende – arbeitslos und abgebrannt , stand darüber. Er klappte den Deckel auf und zerrte eine Zeitung heraus.
Mit wachsendem Entsetzen las er, dass die Presse nicht nur über den Brand, sondern auch über seinen Rauswurf bei Vita Canin berichtete. Wie hatten diese Aasgeier nur davon erfahren.
Der Druck in seiner Brust kehrte zurück. Damit war seine Hoffnung dahin, einen neuen Job zu finden. Wer würde einen Geschäftsführer einstellen, gegen den der Vorwurf des Betrugs auch nur angedeutet worden war.
Die Zeitung fiel aus seinen Händen und klatschte auf den
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