Bereue - Psychothriller (German Edition)
Harry Bernauer, der Inhaber, nur vor zehn Uhr im Café blicken, wenn man ihm um die Uhrzeit sowieso nichts recht machen konnte. Doch was regte sie sich auf. Wenn er glaubte, sie wäre die passende Adresse für sein Geschrei über das Zuspätkommen der Küchenhilfe, hatte er sich geschnitten. Würde er mehr bezahlen, bekäme er auch zuverlässigeres Personal. Und das hatte sie ihm deutlich zu verstehen gegeben. Sie war nicht sein Depp vom Dienst. Nicht für diesen Lohn.
‚Vergessen‘, instruierte sie sich und konzentrierte sich auf das Jetzt und Hier.
Sie servierte das von Harry zusammengestellte Kleine Frühstück einem mutmaßlichen Broker, der an der Theke saß und auf seinem Smartphone herumdrückte.
“Danke”, murmelte er, ohne aufzusehen.
“Aber gerne doch.” Sie ließ ihren Blick über die Gäste schweifen.
Besonders wenn das Wetter schön zu werden versprach, waren selbst die Berufstätigen, die ihr Frühstück im Café Alternativ genossen, erträglich. Die Studenten waren fast immer unausgeschlafen und genervt. Zu früh der falsche Kurs. Sie kannte das. Wenn man dann endlich arbeitete, wünschte man sich das Studentenleben zurück.
Alle bedient, stellte sie zufrieden fest. Nein, da hatte sich ein Typ mit Baseballkappe an Tisch sieben am Fenster niedergelassen. Mit seinen blaugrauen Augen sah er ihr kurz entgegen. Schnell senkte er den Blick auf die Zeitung, die er vor sich ausgebreitet hatte. Im Näherkommen erkannte sie ihn. Der war in den letzten Wochen bereits zwei oder drei Mal hier gewesen. Ein Haferl Kaffee, schwarz, dazu ein Croissant ohne Butter, wenn sie sich richtig erinnerte.
Die rotblonden Haare mit einer blauen Kappe bedeckt, mittelgroß, etwa ihr Alter. Vom ersten Moment an hatte er den Stempel ‚langweilig’ bekommen. Sie schämte sich für ihr Schubladendenken, doch sie konnte nichts dagegen tun. Jeder der Gäste landete in einer. Und sie hatte inzwischen viele Schubladen. Dabei sah er nicht so übel aus. Aber seine lauernde Art sie zu beobachten und die abhackte Art zu reden irritierten sie. Ihre Erfahrungen der letzten Jahre hatten sie gelehrt, welche Männer man besser auf Distanz hielt.
Block und Stift gezückt, trat sie an seinen Tisch. „Guten Morgen. Ein Haferl Kaffee und ein Croissant?“
Ohne auf ihre Worte zu reagieren, fixierte er die Titelseite der Zeitung, als ob dort die Offenbarung stünde. Was für ein merkwürdiger Kerl.
Ihr Blick fiel auf die Headline. Münchner Topmanager am Ende – arbeitslos und abgebrannt las sie. Neben den riesigen Lettern prangte ein Bild von Ben Biller. Sie blinzelte. Er war es, auch wenn sie ihn auf den ersten Blick beinahe nicht erkannt hatte. Sein sonst so selbstzufriedenes Grinsen war entgleist zu einer verzweifelten Fratze.
Gierig sog sie den Text darunter in sich auf. Münchens hochgelobter Manager des Jahres ist abgestürzt. Wie am Montag bekannt wurde, hat Biller über Monate Firmengelder veruntreut. Die einvernehmliche Aufhebung seines Arbeitsvertrages war ein Akt der Anerkenntnis seiner Leistungen für die Vita Canin GmbH, einer der größten Hundefutterhersteller Deutschlands. Wenige Stunden später traf den geschassten Geschäftsführer die nächste Hiobsbotschaft: Seine Villa im noblen Stadtviertel Herzogpark brannte bis auf die Grundmauern ab. Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung. Ob Biller selbst für das Feuer verantwortlich ist, wird derzeit noch untersucht.
„Endlich hat es diesen verdammten Scheißkerl erwischt“, entfuhr es ihr.
Langsam drehte der Mann mit der Kappe ihr das Gesicht zu und sah ihr in die Augen. „Ja“, sagte er in neutralem Ton.
Meinte er jetzt die Bestellung oder ihren Kommentar? Sie rieb sich die Nase. „Also ein Haferl Kaffee und ein Croissant?“
Mit einem knappen Nicken wandte er sich wieder der Zeitung zu. „Bitte.“
Sie riss ihren Blick von Bens verzerrtem Gesicht los und ging hinüber an den Hartzer-Tisch. Jeden Montag Vormittag trafen sich hier vier oder fünf Männer und lästerten bei ein paar Bier über ihre Frauen und Kinder, über den knickrigen Staat. Sie tranken und gingen in halbstündlichem Takt vor die Tür zum Rauchen, bis ihnen gegen Mittag das Geld ausging. Mit glasigen Augen staksten sie dann aus der Tür, um mit gesenkten Köpfen zu ihren Familien zurückzukehren.
Im Moment waren sie zu dritt. Franz, der sich zu den beiden anderen gesetzt hatte, bleckte seine Zahnstümpfe und rieb den graublonden Vollbart, an dem man stets seine letzte Mahlzeit ablesen
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