Bereue - Psychothriller (German Edition)
Marzipantorte. “Du gehst nicht noch einmal weg. Bring mir meine Magentabletten.”
Er starrte sie an. Was denn nun.
Eine fette Hand wedelte in der Luft herum. “Geh schon. Du weißt doch, wo sie liegen.” Der Blick zwischen ihren speckigen Lidern hervor glitt an ihm vorbei zum Fernseher. “Herr, was habe ich getan, dass du mich mit solch einem Kind strafst.”
Seufzend ging er in die Küche, um die Tabletten zu holen. In ihrem Leib war kein Herz, keine Seele. Sie konnte den Schmerz anderer Menschen nicht fühlen, aber sie konnte Schmerzen zufügen.
Auf der Couch mit dem Kuchenteller auf dem Schoß sah er mit Mutter zusammen eine Sendung über die Marienerscheinung von Hruschiw im Jahre 1987. Die Jungfrau Maria war in dem ukrainischen Dorf einer Elfjährigen erschienen. In den folgenden Tagen sahen 40.000 Pilger ebenfalls die Erscheinung in orangefarbenem und blauem Licht.
Eine Stunde später verscheuchte Mutter ihn, ihre Lesebrille in der Luft schwenkend. “Ich muss mich jetzt ausruhen.” Den Kopf an die Sessellehne gedrückt, schloss sie die Augen.
Leise räumte er das Geschirr in die Küche, spülte ab und verzog sich an seinen Computer. Es wurde Zeit für das dritte Kapitel.
Ungeduldig klapperte er auf den Tasten herum, bis Windows endlich gestartet und einsatzbereit war. Er öffnete die Datei und starrte auf den blinkenden Cursor. Es wurde Zeit, mit dem dritten Kapitel anzufangen.
Die Finger auf die Augen gepresst erinnerte er sich an Thomas, der ihn so sehr enttäuscht hatte.
Mit zweiundzwanzig lernte ich Thomas bei der Bibelstunde kennen. Er war zwei Jahre jünger als ich und studierte BWL. Wir tauschten uns jahrelang per E-Mail aus. Auch ihm fiel es leichter, zu schreiben als zu reden. Keinem anderen Menschen habe ich so viel anvertraut wie ihm. Er verstand mich.
Er ermutigte mich, als ich mich in Jessica verliebte. Wie es enden sollte, konnte auch er nicht ahnen. Aber er hätte wissen müssen, dass er es nicht vor mir geheim halten konnte.
Sein Auto erkannte ich nicht. Als ich dem Wagen folgte, in den Jessica gestiegen war, führte er mich direkt zu seiner Wohnung. Den Arm um ihre Taille geschlungen küsste er sie und verschwand mit ihr im Haus.
Dass es ausgerechnet er sein musste. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit, dass Thomas mir so etwas antun würde. Er wusste doch, wie sehr ich Jessica liebte.
Ich warf sie hinaus, sagte ihr aber nicht, dass ich herausgefunden hatte, wer ihr Neuer war. Sie zog bei ihm ein.
Drei Wochen später ließ sie ihn fallen, weil er ihr zu wenig verdiente.
Thomas meldete sich nicht mehr bei mir. Und ich mich nicht bei ihm.
Er hatte sich schwer versündigt, war dem Neid erlegen, hatte der Wollust nachgegeben.
Nach Jessicas Tod vor zwei Jahren besuchte ich ihn. Er wusste, dass ich es wusste. Ich sah es in seinen Augen. “Tut mir leid, Jakob. Ich wollte das nicht. Aber sie hat mich verhext”, stammelte er.
“Jessica ist tot.”
Er nickte. “Wie grauenhaft.”
“Sie hat ihre Verderbtheit begriffen und sich selbst gerichtet.”
Er riss die Augen auf. “Wie kannst du nur so etwas sagen! Das Mädchen war vollkommen entstellt. Ich konnte ihren Anblick nicht ertragen, als sie mich um Hilfe bat.”
“Dachte, du bist mein Freund.”
“Versteh doch. Ich konnte nicht anders. Wie sie mich angemacht hat.” Er legte die Hände flach aneinander. “Vergib mir.”
“Bitte Gott um Vergebung deiner Sünden.” Mit diesen Worten ließ ich ihn alleine.
Er verstand, er bereute. Doch er richtete sich nicht selbst. So musste ich auch bei ihm nachhelfen.
Jakob stöberte in seinen Zeitungsartikeln. Gleich zwei Meldungen war sein Tod den Medien wert gewesen. Ein Jahr und drei Monate war das nun her.
Er scannte den ersten ein und überflog ihn auf dem Monitor. Sein Blick glitt über Thomas’ ernsthaftes Gesicht, das links neben dem Foto des zerfetzten Autos abgedruckt war.
Zunächst ging die Polizei von einem normalen Unfall aus Unachtsamkeit aus. Thomas war mit einhundertzwanzig Sachen gegen einen Baum gerast, ungebremst. Der Stamm zerriss den Wagen in zwei Teile. Die Feuerwehr brauchte über eine Stunde, um alle Teile von Thomas aus dem Wrack zu schneiden.
Der zweite Artikel folgte. Er war zwei Tage später erschienen. Aufmerksam las er die wenigen Sätze.
“Wie erst jetzt bekannt wurde, handelte es sich bei dem tödlichen Unfall des Betriebswirts Thomas K. auf der B388 um Selbstmord. In der Wohnung des Verunglückten wurde ein
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