Bereue - Psychothriller (German Edition)
glitschig in seiner Hand.
“Die Polizei war hier. Hier in meinem Haus. Sie wollten wissen, ob du Sonntag Nachmittag bei uns warst. Was hat das zu bedeuten.”
Schon lange nicht mehr hatte sein Vater mit dieser leisen Stimme zu ihm geredet. Diese Stimme, die so beherrscht klang, dass er unter jedem Laut kleiner wurde. Sein Magen krampfte sich zusammen.
Er war wieder sieben. Ging den Flur im ersten Stock entlang. Die Tür zum Arbeitszimmer des Vaters war angelehnt. Immer war diese Tür verschlossen. Heute nicht. Vielleicht konnte er einen winzigen Blick hineinwerfen in dieses geheimnisvolle Zimmer, das verboten war. Solange er den Vater unten am Telefon hörte, konnte nichts passieren. Geräuschlos schob er die Tür auf. Eine Lampe brannte auf dem wuchtigen Schreibtisch, der vor dem Fenster stand. Sie warf ihr sanftes Licht auf unzählige Papiere. An den Wänden standen deckenhohe Regale mit Büchern. Genauso hatte er sich das Arbeitszimmer des Vaters vorgestellt. Nur die helle Couch passte nicht hierher. Er lauschte. Der Vater brüllte jemanden am Telefon an. Mit klopfendem Herzen setzte er einen strumpfsockigen Fuß vor den anderen, angezogen von dieser Couch. Was lag darauf? Er hatte das schon einmal gesehen. Das Licht der Lampe reichte kaum bis zu diesem Stück Stoff. Er musste näher hin, um es genau zu sehen. Es war schwarz, aus dünnem Stoff, mit dem verziert, was seine Mutter Spitze nannte. Wie ein kurzes Kleid mit bleistiftdünnen Trägern. Seine Mutter trug so etwas, wenn seine Eltern sich Samstag Nachmittag schlafen legten. Aber das von Mutter war weiß. All ihre Wäsche war weiß. ‘Weiß ist die Farbe der Unschuld’, hatte sie ihm einmal zugeflüstert und so seltsam gekichert. Das hier war schwarz. Die Farbe des Teufels, wie sie geraunt hatte. Was hatte das zu bedeuten? Seine Finger streckten sich danach aus, berührten den Stoff. Er fühlte sich kühl und weich an. Dass Vater unten verstummt war, nahm er nicht wahr. Auch nicht die Schritte auf der Treppe. “Benjamin. Was tust du hier”, hörte er eine leise Stimme hinter sich. Er wirbelte herum. Das Licht vom Flur im Rücken, warf die Gestalt des Vaters einen übermenschlichen Schatten in den Raum. “Ich, ich, …”, stammelte er und stolperte rückwärts. Seine Kniekehlen stießen an die Couch. “Komm hier her”, sagte der Vater und deutete auf den Holzboden vor sich. Seine Füße trugen ihn kaum, als Ben auf seinen Vater zuging. Zwei Meter entfernt knickten seine Beine ein. Zu schwer lastete die Schuld auf seinen schmalen Schultern und die Angst. Er fiel auf die Knie. Die Augen zugepresst, wünschte er sich im Boden zu versinken. Ein schnalzendes Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Er hatte es schon einmal gehört. Die Augen aufgerissen sah er zu seinem Vater hoch. Mit dem Gürtel in der Hand kam der Vater auf ihn zu. “Ich will, dass du weißt, dass mir das genauso wehtut wie dir.”
Zum letzten Mal hatte Ben diese leise Stimme bei seinem Vater gehört, als er sechzehn gewesen war. Damals hatte Biller senior ihn beim Kiffen im Garten erwischt. Nach diesem Gespräch unter den al tehrwürdigen Eichen hatte Ben nie wieder einen Joint angerührt.
Mühsam kämpfte sich Ben in die Gegenwart zurück. “Die denken, ich hätte mein Haus selbst angezündet. Aber das ist Unsinn!”
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war unerträglich.
“Vater. Ich bin unschuldig. Glaub mir.”
“Mein Sohn ein Versager, ein Brandstifter, ein Betrüger. In der Zeitung steht, du hättest Gelder veruntreut.” Die Stimme war kaum noch hörbar. “Ich bin so maßlos enttäuscht.”
Der Druck in Bens Brust breitete sich bis in den Unterkiefer aus. Keuchend rang er nach Atem. “Ich schwöre dir, ich habe nichts getan. Jemand will mich fertigmachen, das habe ich dir doch gesagt.”
“Belügen kannst du dich selbst. Verschone mich mit dieser Rä uberpistole. Du machst dich lächerlich.”
“Aber Vater!”
“Der Name Biller steht über die Grenzen dieses Landes hinaus für Erfolg. Du hast mich besudelt. Wenn du ein Mann wärst, würdest du zu deinen Verfehlungen stehen.”
Die Finger auf die Augen gepresst schnappte Ben nach Luft. Es war so eng im Wagen. Hatte er sich tatsächlich einmal nichts mehr gewünscht, als die Anerkennung dieses Mannes zu erringen? Warum? Weil er sein Erzeuger war? Dieser herzlose Mensch, der seine Söhne geprügelt hatte, bis sie heulten und der sie anschließend verachtete für ihre Tränen? “Denk doch, was du
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