Bereue - Psychothriller (German Edition)
ihm der Kommissar hinterher. “Sie können bei den Kollegen Anzeige gegen die Schläger erstatten. Die haben Sie übel zugerichtet.”
Die Faust um den Anhänger in der Hosentasche geballt, trat er auf die Straße und ging zu seinem Wagen. Was sollte er jetzt tun? Wer konnte ihm noch helfen. Gemeinsam mit Annelie hatte er seine E rinnerungen durchforsten wollen auf der Suche nach dem Täter. Alleine schaffte er es nicht, linear zu denken. Zu sehr glitten seine Gedanken ab, zerstreuten sich, drifteten auseinander wie Brotkrümel auf der Isar.
Sollte er es noch einmal bei seinen Eltern versuchen? Unmöglich. Seine Mutter würde irgendeinen Voodoo-Zauber veranstalten und sein Vater hätte nur abfällige Worte übrig. Oder einen seiner väterlichen Ratschläge.
Bis vor ein paar Tagen war ihm nicht bewusst gewesen, wie einsam er war. Sein Leben war ausgefüllt gewesen von seiner Arbeit, von der Jagd nach Erfolg. Seine Mitmenschen waren entweder nützlich gewesen oder eben nicht. Dass er jemals Hilfe brauchen würde, hätte er niemals erwartet. Und da war niemand. Obwohl, eine Person gab es, die ihm helfen konnte, wenn sie wollte.
Laut hupend raste ein Auto knapp an seiner Nase vorbei. Er schrak zurück. Wenn er nicht aufpasste, erledigte sich das mit seinem Tod ohne sein Zutun. Mit einer Hand an eine Straßenlaterne gestützt, wartete er, bis sein Herz wieder halbwegs normal schlug. Dann reihte er sich zwischen die Fußgänger an der Ampel und überquerte bei Grün die Straße.
Er wollte leben. Und er wollte Annelie zurück.
Seit Jahren war er nicht mehr hier gewesen. Langsam fuhr er an den Reihenhäusern vorbei, die alle gleich aussahen. Vor der Nummer achtundzwanzig parkte er am Straßenrand.
Der kleine Vorgarten war perfekt gepflegt. Kein Unkraut, kein Busch, der vorwitzig seine Äste in den Weg reckte. Nur ein paar Ziergräser, die ihre schwertförmigen Blätter aus dem weißen Zierkies streckten.
Hoffentlich war er zu Hause.
Auf sein Klingeln hörte er das Klappern von Absätzen. Andrea, seine Schwägerin, öffnete und wich zurück, als hätte sie jemand anderes erwartet. “Ben.” Ihre Stimme klang atemlos. “Wie siehst du denn aus.”
Er zuckte die Achseln. “Ist Richard da?”
Sie nickte in Richtung Flur. “Er ist im Wohnzimmer.”
Er folgte ihr durch den düsteren Hausflur. Es roch nach angebratenen Zwiebeln, der Dunstabzug dröhnte in der Küche.
Richard saß vor dem Fernseher, die Füße auf dem Couchtisch. Die Kinder spielten auf dem Teppich mit Plastikfiguren. Alle drei starrten ihn an wie eine Erscheinung.
“Markus, Stefanie, kommt. Helft mir in der Küche”, befahl Andrea. Wortlos gingen die beiden mit großen Augen an ihm vorbei und folgten ihrer Mutter. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.
Die soliden Eichenmöbel, die braune Polstergarnitur, all das strahlte Ruhe aus. Das Aquarium in der Ecke leuchtete wie eine grüne Oase.
Ein Reihenhaus, zwei Kinder, eine Frau, die mit Haushalt und Kindererziehung zufrieden war. Bis jetzt hatte er seinen kleinen Bruder als Spießer abgetan.
Heute fraß ihn der Neid auf dieses Leben auf. Ein abbezahltes Eigenheim. Eine liebevolle Ehefrau, die ihn umsorgte. Zwei süße Kinder, die ihm lachend um den Hals fielen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam.
Richard schaltete den Fernseher aus und nahm die Füße vom Couchtisch. Seine schulterlangen Haare waren von feinen Silberfäden durchzogen, der Ansatz eines Wohlstandsbauches drängte gegen das hellblaue Hemd. Die dunklen Augen musterten Bens Gesicht, als hätte er eine ansteckende Krankheit. “Du siehst scheiße aus”, lautete die knappe Begrüßung.
Die Hände in den Hosentaschen ging Ben auf ihn zu. “Ich bin im Arsch.”
Richard wies mit der Hand auf den Sessel, der schräg neben der Couch stand. “Setz dich. Magst du ein Bier?”
Dumpfe Schmerzen regten sich, als er sich in die Polster fallen ließ. “Gerne.”
Mit zwei Flaschen Weißbier kam Richard zurück. Er drückte Ben eine in die Hand, mit der anderen setzte er sich und trank. “Also?”
37
In ihrer Ecke zusammengekauert starrte sie seit ungezählten Stunden auf die riesigen Haken, die von der Decke hingen. Im Licht der wandernden Sonne waren sie zuerst im Schatten gelegen, jetzt konnte sie deutlich die Rostschicht daran erkennen.
Boden und Wände waren von schmutzigen Fliesen bedeckt. In regelmäßigen Abständen befanden sich Gullies. Der Putz an der Decke hatte sich an einigen Stellen gelöst und war auf
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