Bereue - Psychothriller (German Edition)
Abendhimmel.
„Hier sind wir nicht vorbei gekommen!“, quengelte Sybille. Sie hatte recht. Unschlüssig standen sie nebeneinander und drehten die Köpfe hierhin und dorthin. Überall Bäume.
„Ich hab Angst“, wimmerte Sybille.
Annelie umschlang sich mit den Armen. Ihr war kalt, bis ganz tief drin. Es wurde immer dunkler. Sie deutete auf eine Stelle zwischen den Bäumen, die heller schimmerte. „Gehen wir in die Richtung.“
Sie hatten sich keine zwei Meter von der Hausruine entfernt, als der Boden unter ihren Füßen nachgab.
Annelie schrie und fiel. Mit Händen und Knien landete sie auf hartem Stein, bedeckt von Schutt. Erde und Steine rieselten auf sie herunter. Alles tat ihr weh. Weinend fiel sie auf die Seite, befühlte ihre Knie. Die Hose war kaputt, die Haut aufgeschürft.
Sie war in eine Höhle gefallen. Panisch versuchte sie aufzustehen und berührte etwas Weiches. Ihre Hand zuckte zurück. Sie riss die Augen auf, doch sie konnte nichts erkennen. Ein Dreckschleier hing wie Nebel in der Luft. Und es war so dunkel hier unten.
Etwas keuchte, stöhnte in der Dunkelheit. „Annelie“, hörte sie eine weinerliche Stimme.
„Sybille!“ Kniend ertastete sie den Körper ihrer Freundin. Sie lag zusammengekrümmt auf der Seite. „Sybille, was ist los?“
„Mein Bein. Es tut so weh.“
Der Nebel aus Staub senkte sich, sie konnte im schwindenden Licht einen Raum aus Stein erkennen, hoch über ihnen war ein Loch in der Decke, durch das sie herunter gefallen waren. Zusammen mit zahllosen Steinen, die um sie verstreut lagen. Sie tastete nach Sybilles Bein, das in dem Schuttberg verschwand.
„Aua!“ Sybille weinte. Ihr Fuß war eingeklemmt. Mit aller Kraft schob und zog Annelie. Ein großer Brocken löste sich und polterte davon. Sybille schrie wie verrückt. “Mein Bein!”
Mit zitternden Händen tastete Annelie nach dem dunkel glänzenden Etwas unterhalb von Sybilles Knie. Sie fühlte klebrig warmes Blut, das Bein war seltsam verbogen.
“Es tut so weh”, wimmerte Sybille. “Hilf mir.”
Annelie bekam kaum noch Luft. “Wie denn.”
Sybille reagierte nicht. Das letzte Licht, das durch die Öffnung über ihren Köpfen hereingedrungen war, war verschwunden. Ein paar Sterne funkelten zu ihnen herab. Mit weit aufgerissenen Augen, die doch nichts sehen konnten, tastete sie sich den Körper der Freundin entlang bis zur Schulter und legte sich neben sie. Sie nahm sie in die Arme und drückte ihr tränennasses Gesicht an Sybilles kühle Wange. Es war so kalt. Erstarrt vor Angst lauschte sie in die Schwärze. Da hörte sie es. Ein Krabbeln, ein Schaben und Kratzen. Es fing leise an und wurde immer lauter, kam immer näher, schloss sie von allen Seiten ein. Kratzige Füßchen krabbelten über ihre Haut, Käfer verfingen sich in ihren Haaren. Mit tränennassem Gesicht und zitternden Händen zerrte sie die Tiere von ihrer beider Kleider, zog sie aus Sybilles roten Haaren und ihren eigenen schwarzen. Sie schlug und trat und warf und wimmerte. Bis das Morgenlicht hereinfiel und die Tiere der Nacht verschwanden.
Ein Suchtrupp fand sie beide am Vormittag in dem vergessenen Eiskeller. Sybille hatte eine schwere Gehirnerschütterung. Ihr Bein wurde unterhalb des Knies amputiert. Die Mädchenfreundschaft war Geschichte. Dafür hatte Annelie einen neuen Feind. Die Dunkelheit.
Mit einem Aufschrei zog sie ihre Arme unter ihrem Po durch. Gelenke knackten. Die gefesselten Hände unter den Kniekehlen auf den Boden gelegt, atmete sie tief ein. Langsam kehrte das Blut in ihre eiskalten Finger zurück. Die verspannten Muskeln vom Nacken über die Schultern bis in die Arme schrien nach Bewegung.
Sie zog erst den freien Fuß, dann den angeketteten durch ihre Arme. Das Gerassel des Metalls hallte von den Wänden. Wenn sie nur etwas sehen könnte. Sie drückte den Knoten an ihre Lippen. Mit den Zähnen zog sie an dem Seil. Es schmeckte widerlich nach Kunststoff und Motorenöl. Sie glitt ab. Ihr Kiefer schmerzte. Sie versuchte das nächste Stück. Es gab nach. Sie griff nach und konnte das Ende durch eine Schlaufe ziehen. Mit dem nächsten Biss zog sie den Knoten endgültig auf. Das Seil löste sich.
Als Erstes zog sie den Käfer aus ihren Haaren und warf ihn so weit es ging in die Dunkelheit. “Such dir ein anderes Nest.”
Sie betastete ihre Handgelenke. Es schmerzte höllisch. Die Haut war wundgescheuert. Sie spürte Hautfetzen und Wundsekret. Ohne Ant ibiotika würde sich das übel entzünden. Sie stand auf und
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