Bereue - Psychothriller (German Edition)
beschwört, Tarotkarten gelegt, Krä utermixturen ausprobiert. Wenn Richard oder ich krank oder traurig waren, hat sie uns mit Räucherstäbchen und Heilmeditationen traktiert, statt uns in den Arm zu nehmen. Mein Vater war anders. Wenn hinter einer Eins ein Minus stand, war es nicht gut genug. Ein falsches Wort, einmal nicht artig gewesen und er hat uns geschlagen.” Der heiße Schmerz, wenn der Gürtel auf die nackte Haut schnalzte, brannte auf seinem Rücken. “Richard ist klinischer Psychologe geworden. Vielleicht um zu erforschen, was in unserem respektablen Elternhaus mit ihm passiert ist.” Richard hatte es wenigstens zu einem Reihenhaus und einer Familie gebracht. “Ich wollte die Anerkennung meines Vaters, dass er mir nur einmal auf die Schulter klopft und sagt: ‚Sohn, das hast du gut gemacht.’”
“Und, hat er?”, fragte sie leise.
“Nein.”
“Was für eine scheiß Kindheit.” Sie schnaubte. “Und ich war neidisch auf eure reichen Eltern. Die Villa, die Markenklamotten.”
Er lachte bitter. “Wir hatten genug Taschengeld für Markenklamotten und all den anderen Mist, der für Teenager lebenswichtig ist. Aber die Leere konnte es nicht füllen.”
Das Klirren von Metall hallte von den Wänden. Er spürte eine warme Hand auf seinem Arm. “Warum hast du mir das nicht vor zwanzig Jahren erzählt.” Sie schlug leicht gegen seinen Oberarm. “Verdammter Idiot. Warum hast du mir nicht einfach gesagt, dass du Angst hast.”
Sie brachte mit diesem einen Wort sein Leben auf den Punkt. “Kannst du dir das nicht denken.”
“Männliches Ego.” Sie spie es aus wie etwas, das der Hund von der Jagd heimbrachte.
“Ja.” Genau das war es, womit er sein Leben versaut hatte. Dieser verdammte Stolz. Von klein auf hatte er nicht um Liebe betteln, hatte nicht weinen wollen, wenn der Vater ihn verdroschen hatte. Niemand sollte seine Sehnsucht sehen oder gar seine Angst.
Ihre Hand glitt über seine Brust, seinen Hals zu seinem Gesicht. Er spürte ihren Atem ganz nahe. “Du hast es mir jetzt gesagt.” Ihre Lippen berührten seine. Vorsichtig zog er sie an sich. Ihre Zungen fanden sich.
Er war wieder siebzehn. Wusste nicht, was tun mit den zittrigen Händen auf diesem wunderbaren Körper. Wie weiteratmen, wo doch das Herz so hämmerte.
51
Die ausgeschaltete Taschenlampe in der Hand war er in der Finsternis die Treppe hinuntergeschlichen. Nahezu geräuschlos hatte er einen Fuß vor den anderen geschoben, die einzelnen Stufen ertastend.
Nun saß er am Fuß der Treppe. Widerwillig löste er seine Fingernägel von der brennenden Kopfhaut und schabte mit den Zähnen die Hautpartikel und das Blut darunter heraus. Es schmeckte salzig. Seine ganze Haut war klebrig feucht vom Schweiß.
Nichts lief wie geplant.
Er hielt die Luft an und lauschte. Da waren die Geräusche, die die Geschöpfe der Nacht verursachten. Keine Stimmen, nur noch leises Stöhnen, zweistimmig. Wie konnte Annelie ihm das antun? Von Ben Biller hatte er nichts anderes erwartet, der nahm sich einfach, was er wollte.
Aber nicht mehr lange.
Die Hand um das Seil zur Faust geballt, stand er auf und schaltete die Taschenlampe an. Der breite Strahl erfasste sie beide, wie sie erschrocken auseinander fuhren und ihm entgegen blinzelten. Annelie schirmte ihre Augen mit der Hand ab. Ben Biller legte seine Arme um Annelie, ganz der ritterliche Beschützer. Das konnte er sich sparen.
Drei Meter von ihnen entfernt blieb er stehen und warf Ben Biller das Abschleppseil vor die Füße. Das eine Ende hatte er zu einer Galgenschlinge verknotet. Die Botschaft war eindeutig. Er lenkte den Strahl der Taschenlampe an die Decke, dorthin, wo die Rohre ve rliefen. Ihre Blicke folgten dem Licht. Ben Biller konnte das Seil darüber werfen, das lose Ende hinter sich an dem Ring in der Wand verknoten. Damit es schneller ging, stellte er auch noch den Holzstuhl in Billers Reichweite. So konnte er sich darauf stellen, den Stuhl wegkicken. Dann brach sein Genick, wenn er Glück hatte und er musste nicht qualvoll verröcheln. “Sechs Uhr.” Dann hatten sie noch drei Stunden Zeit, sich zu verabschieden. Das war doch großmütig von ihm.
“Verstanden”, würgte Ben Biller heraus und zog das Seil zu sich heran.
Annelie schubste Ben von sich weg und sprang auf. “Nein! Das wirst du nicht tun!” Ihr Zeigefinger schoss auf Jakobs Stirn zu. “Wenn du uns jetzt einfach gehen lässt, dann zeigen wir dich nicht an. Wir haken es als Dummejungenstreich ab.
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