Berg der Legenden
auszog und sich wieder auf den Boden legte, »bitte sag mir, womit ich Finch verdient habe?«
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15. April 1922
Meine geliebte Ruth,
wir haben mit der 1000-Meilen-Reise zur tibetischen Grenze begonnen. Wir bestiegen den Zug nach Siliguri am Fuße des Himalaja, und der Fahrplan versprach, es werde eine Reise von sechs Stunden, doch es dauerte beinahe sechzehn Stunden. Ich habe mich schon oft gefragt, was mit den alten Eisenbahnen geschieht, die in den Ruhestand geschickt werden – nun, jetzt weiß ich es. Sie werden nach Indien geschickt, wo sie wiedergeboren werden.
Wir drängten uns also alle in die Wagen hinter einer alten Lokomotive der Great Northern Railway, einer altehrwürdigen Grande Dame. Die Sitze in der ersten Klasse sind inzwischen etwas schäbig und abgewetzt, während es in der dritten Klasse immer noch Holzbänke gibt. Und es gibt kein Klo, was bedeutete, dass wir an jedem Bahnhof hinausspringen und in die Büsche verschwinden mussten. Der Zug verfügte auch über Viehwaggons, wo Bruce die Mulis und die Träger untergebracht hat. Beide beschwerten sich.
Es ist ein großer Unterschied, ob man komfortabel von Birkenhead nach London reist oder von Bombay nach Siliguri: Auf dem Weg aus dem Norden Englands nach Süden halten wir die Fenster geschlossen und drehen die Heizung auf, aber hier fühlt es sich an, als würde man in einem Ofen auf Rädern reisen, obwohl die Eisenbahngesellschaft hier auf Fensterscheiben verzichtet hat.
»Wo ist Daddy?«, wollte Clare wissen. »Wo ist er jetzt?«
Ruth legte den Brief fort und setzte sich zu ihren Töchtern auf den Fußboden, damit sie auf der Karte, die ihr Vater für sie gemalt hatte, seinen Weg verfolgen konnten. Sie fuhr mit dem Finger über den Ozean von Tilbury nach Bombay und anschließend die Eisenbahnlinie entlang, die in Siliguri endete. Sie griff erneut nach dem Brief und las ihn den Kindern laut vor.
Stell Dir unsere Überraschung vor, als wir den Zug in Siliguri verließen und vom Anblick des Miniatur-Weltwunders der Darjeeling Himalaja Railway Company begrüßt wurden. In Siliguri endet die 1-Meter-Spurweite, um durch das ungewöhnliche Maß von 610 mm ersetzt zu werden, warum dieser Zug von den Einheimischen liebevoll Toy Train, Spielzeugeisenbahn, genannt wird.
Man betritt einen entzückenden kleinen Wagen, der für Clare und Beridge ideal sein dürfte, in dem ich mich indes fühlte wie Gulliver, als er im Land der Liliputaner aufwachte. Mit einem Krach, der in keinem Verhältnis zu ihrer Größe steht, begann die kleine Dampflok ihre Fahrt in die Berge, vom Vorland von Siliguri, lediglich 100 Meter über dem Meeresspiegel, hinauf nach Darjeeling, 51 Meilen entfernt und in 2100 Meter Höhe gelegen.
Die Kinder wären fasziniert, denn die Steigung ist so gewaltig, dass ein Einheimischer vorn auf dem Puffer sitzen und Sand auf die Schienen streuen muss, damit die Räder gut fassen können, während wir immer höher die Berge emporkrochen.
Ich kann Dir kaum sagen, wie lange die Reise dauerte, denn jede Minute verbrachte ich in solchem Entzücken, dass ich keinen Moment lang aufhören konnte, die Aussicht zu bewundern, aus Frucht, mir könnte ein neues Wunder entgehen. Unser mutiger Kameramann, Captain Noel, war sogar so betört von der gesamten Erfahrung, dass er, als wir in Tung anhielten, um Wasser aufzunehmen – sowohl die Dampflok als auch die Passagiere –, auf das Dach des Waggons kletterte, von wo aus er den Rest der Reise filmte, während wir einfachen Sterblichen uns damit zufriedengeben mussten, aus den Fenstern zu schauen.
Als wir schließlich nach siebenstündiger Fahrt am Bahnhof von Darjeeling anhielten, hatte ich nur einen einzigen Gedanken: Wenn nur dieses Kleinod uns den ganzen Weg hinauf ins Basislager bringen könnte, wie viel leichter wäre das Leben. Aber so viel Glück haben wir nicht, und kurz, nachdem wir den Zug verlassen hatten, ertönte bereits die vertraute Stimme des Generals, der Befehle bellte und die Mulis und Träger in einer Reihe antreten ließ, damit wir die lange Reise durch den Dschungel zu den Ebenen Tibets antreten konnten.
Jedem von uns wurde ein eigenes Maultier zugeteilt, um unsere persönlichen Besitztümer und Ausrüstung zu tragen, und mit Ausnahme des Generals müssen wir mindestens zwanzig Meilen am Tag marschieren. Abends versuchen wir, wenn irgend möglich, unser Lager in der Nähe eines Flusses oder Sees aufzuschlagen, damit wir schwimmen und für ein paar wunderbare Augenblicke
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